Die Inselvogtin
Stets sind dir deine politischen Interessen wichtiger gewesen als die Menschen, denen du etwas bedeutet hast. Damals, als wir uns am Hafen getroffen haben, hast du mich fortgeschickt, weil du deine Sache allein durchfuhren wolltest.«
»Du konntest in Aurich so viel mehr bewirken als … «
»Ach.« Maikea hatte keine Geduld, sich irgendwelche Erklärungen anzuhören, nein, sie war es leid. »Als du Jantje entführt hast, wusstest du, dass du damit auch mich treffen würdest. Aber es war dir egal.«
»Du irrst dich!«
»Dann lässt du mich glauben, du wärest verbrannt, obwohl du wusstest, wie viel du mir bedeutest. Fast zehn Jahre tauchst du unter, weil es angeblich zu gefährlich wäre, mich zu treffen … «
»Auch wegen des Jungen!«
»Jetzt hör endlich damit auf, Tasso! Es geht nicht um mich, nicht um den Jungen, sondern nur um dich und deinen Kampf für diese verdammte Freiheit. Du bist doch selbst schon lange ein Gefangener geworden. Eingesperrt in ein Leben mit falschem Namen, ohne Vergangenheit und Zukunft. Und ohne Liebe.«
Sie schaute ihn an, sah ihm das erste Mal direkt in die Augen, seitdem sie wusste, dass er am Leben war. Gern hätte sie geweint, ihn geküsst, ihm gesagt, wie sehr sie sich freute, ihn wiederzusehen. Aber stattdessen fauchte sie ihn an. »Lass mich in Ruhe, Tasso. Mich, meinen Mann und den Jungen. Wir wollen in Frieden leben. Verschwinde von dieser Insel!«
8
D rei silberne Puderdöschen, sechs moderne Porzellanfiguren aus dem Hause Meißen «, diktierte Weert und steckte sich, während sein neuer Sekretarius mit dem Schreiben beschäftigt war, heimlich die siebte Figur, eine filigrane Schäferin mit vergoldetem Rocksaum, in die Manteltasche. »Und dann schließlich noch der Frisiertisch selbst, aus Nussbaum, wenn mich nicht alles täuscht.«
Er betrat nun den Ankleideraum der Fürstin und schob im Schrank ein paar Roben zur Seite. Zwischen den edlen Kleidern hing noch Wilhelmines Duft. Wie oft hatte er ihn direkt von ihrem Körper eingeatmet. Nun lebte nur noch die Erinnerung an sie in den Räumen des Schlosses, das von den preußischen Soldaten in Beschlag genommen worden war.
»Schreibt ferner auf: ein Brautkleid aus reiner Seide, mit Schleppe und Perlenstickerei … «
Nie hätte Weert gedacht, dass es so einfach, zügig und problemlos vor sich gehen konnte, in seinem Land erneut die Macht zu übernehmen. Zugegeben, zu einem Großteil war dies das Verdienst Homfelds und seiner Emder Konvention. Der Syndikus hatte einen derart ausgeklügelten Vertrag vorgelegt, dass sowohl das Königshaus in Hannover wie auch die letzte Vertreterin der Cirksena – Prinzessin Friederike, Schwester von Georg Albrecht – kläglich gescheitert waren in ihrem Versuch, den Thron zu besteigen. Jeder, der sich noch auf die alte Fürstentreue berief, wurde inhaftiert, so schnell, dass keine Zeit mehr blieb, in der Öffentlichkeit große Reden zu schwingen.
An die eher bescheidenen Verhältnisse der Preußen hatte Weert sich allerdings erst gewöhnen müssen. Doch er lebte zum Glück wieder in seinem eigenen Haus neben der Lambertikirche, zumindest solange er noch hier in Aurich zu tun hatte.
Zurzeit war er dafür zuständig, die Wertgegenstände des Fürstenhauses zu dokumentieren. Jede silberne Tasse, jeder goldene Löffel, jedes Gemälde und sämtliche Möbelstücke mussten in einem Katalog aufgelistet werden. Mit dem Erlös ihrer Versteigerung wollte man so bald wie möglich die Schulden bei den Niederlanden begleichen. Die eintönige Beschäftigung bot Weert genügend Gelegenheit, sich den einen oder anderen Schatz zur Seite zu schaffen.
» … Französische Robe aus besticktem Seidentaft in Rosé, dazugehörig ein Reifrock … «
»Weert Switterts! Ihr seid ein Parasit!« Die Frauenstimme zerschnitt so plötzlich den geruhsamen Arbeitsablauf, dass Weert vor Schreck eine kostbare Brosche auf den Boden fallen ließ. Zu dumm, er hatte das Schmuckstück gerade erst in seinen Ärmel rutschen lassen.
»Wilhelmine!«
»Fürstin Wilhelmine, darum bitte ich! Und da Ihr Euch so lange nicht bei mir habt blicken lassen, verlange ich auch ein›Eure Durchlaucht‹als Anrede!«
Sie war mager geworden, dachte Weert. Und die Nase, die sie mit zur Schau gestelltem Selbstbewusstsein etwas höher hielt als gewöhnlich, schien ihm noch spitzer als sonst. Das Kleid war so weit geschnitten, als handle es sich noch um das Umstandsgewand, das nun durch keinen gewölbten Bauch mehr gefüllt war.
Weert
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