Die Inselvogtin
hatten. Die Menschen klatschten und johlten.
»Ich halte die Wette dagegen!«, rief Maikea und ließ sich zur Musik drehen. Aber die Insulaner hatten nicht unrecht: Sie hatte noch nie in ihrem Leben getanzt, und aus vollem Herzen fröhlich war sie auch nicht. Sie wusste, dass die Menschen sich zwar für den beliebten Geert freuten, mit seiner eigensinnigen Frau aber nichts anfangen konnten. Deshalb war es ihr wichtig, sie nun alle eines Besseren zu belehren.
Die Fiedel ertönte, ein Bauer klopfte rhythmisch auf eine über ein Fass gespannte Kuhhaut, und Frauke Oncken hatte die alte Drehleier ihrer Mutter zwischen den Knien. Zwei- oder dreimal trat Maikea ihrem Gatten auf die Füße, doch allmählich verstand sie, dass sie sich frei machen musste, wenn sie diesen Tanz heil überstehen wollte. Sie schloss die Augen, wiegte den Kopf mit der Musik, spürte die starken Arme, die sie hielten, und ließ sich von Geert führen.
Die Ausgelassenheit, die auf der Feier herrschte, war für alle eine willkommene Abwechslung, denn die Insulaner hatten stets viel Arbeit. Und Maikea verlangte viel von ihnen.
Aber es war Mitte Juni, und die ersten Wälle standen bereits sicher im Meeresboden. Tatsächlich hatte es auch schon beachtliche Sandablagerungen gegeben. Maikea hatte außerdem schon eine günstige Verlagerung der Strömungen gemessen. Doch die Juister erkannten diese Vorteile nicht, sahen nur die zusätzlichen Anstrengungen, die Tag für Tag von ihnen verlangt wurden, und sie nahmen es Maikea übel, dass sie von ihrem scheinbar kopflosen Tun nicht absehen wollte. Zweimal hatten sie schon Beschwerde bei dem eigentlichen Inselvogt eingelegt. Doch Eyke hatte nur die Achseln gezuckt und klar und deutlich erklärt, dass dies alles dem schriftlich festgelegten Willen des Fürstenhauses entspräche und er daran nichts ändern könne, selbst wenn er wollte. Als dann die Nachricht vom plötzlichen Tod des Fürsten auf Juist eingetroffen war, hatte es einen kleinen Aufstand gegeben. Aber Eyke hatte betont, solange er noch offiziell bestellter Inselvogt sei, müsste sich die Inselbevölkerung nach Maikeas Arbeitseinteilung richten. Die Stimmung war seitdem mehr als gereizt, seit Wochen schon. Und Maikea graute bei dem Gedanken daran, dass noch nicht einmal die Hälfte der Arbeit verrichtet war.
Aber heute schienen alle gut gelaunt, die Sonne strahlte, und das Gezwitscher der Jungvögel auf den Salzwiesen klang in den Pausen der Musiker wie ein Hochzeitsständchen, das die Natur zum Fest beisteuerte.
Doch plötzlich erstarb die Musik, Geert hörte auf, sich zu drehen, und Maikea öffnete die Augen. Sie folgte den Blicken der anderen und sah einen Mann mit langsamen Schritten von der Wattseite kommen.
»Wer ist das?«, fragte Frauke Oncken.
»Keine Ahnung «, antwortete Uke Christoffers, der eigentlich jeden kannte, der den Fuß auf die Insel setzte.
»Ich glaube es nicht … Das darf doch nicht wahr sein!«, rief Eyke plötzlich, und es war nicht auszumachen, ob er sich freute oder sorgte.
Der Fremde kam näher, er lief etwas gebeugt, als habe er schwer arbeiten müssen. Sein Gesicht war sonnengebräunt und das hellblonde Haar von weißen Stellen durchzogen.
Maikea erkannte ihn sofort.
Auch Eyke schien sich sicher zu sein. »Der Weiße Knecht!«, rief er. »Er kommt zur Hochzeit! Wenn das mal keine Ehre ist!«
Es gab keinen Ausdruck für das, was Maikea empfand. Namenloses Entsetzen vielleicht? Oder sprachlose Freude? Der Blick des Mannes aus den dunklen, eng zusammenstehenden Augen war derselbe, an den sie all die Jahre gedacht hatte. Vielleicht sollte sie ihm entgegenrennen? Doch sie konnte es nicht. Alle Kraft, die sie zu einer Bewegung gebraucht hätte, nahm ihr wild schlagendes Herz für sich in Anspruch. Tasso lebte! All die Jahre hatte er sie im Glauben gelassen, er sei tot, und dann tauchte er hier einfach so auf, ohne eine Vorwarnung. Es war mehr, als sie verkraften konnte. Ausgerechnet an ihrer Hochzeit. Der Hochzeit mit einem Mann, dem sie nur deswegen das Jawort hatte geben können, weil die Liebe ihres Lebens vor zehn Jahren gestorben war, ausgerechnet da entschloss er sich, hier zu erscheinen. Was hatte das zu bedeuten?
Wie ein Schlag durchfuhr es Maikea plötzlich: Er kam gar nicht wegen ihr. Wäre es ihm um sie gegangen, dann hätte er sich schon viel eher auf den Weg gemacht. Heute war es für ihre Liebe genau einen Tag zu spät.
Maikea sah zu Jan, der neugierig den unbekannten Besucher musterte. Er war
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