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Die Inselvogtin

Die Inselvogtin

Titel: Die Inselvogtin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sandra Lüpkes
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seit Tagen mit der Wunde an seinem offenen Bein und konnte nun die passende Arznei in den Händen halten. Peta Visser bekam nach Wochen endlich wieder einen Brief von der Schwester aus Norderney und strahlte. Bauer Runcke nahm dankbar drei Käfige gackernder Hühner entgegen, nachdem ein wilder Hund im letzten Monat sechs seiner besten Legehennen zerfleischt hatte.
    Das Treffen an den Schiffsplanken glich einem kleinen Fest. Alle riefen durcheinander, forderten ihre Ware oder reichten Eyke ihre Pakete, die er in die große Welt mitnehmen sollte. Aber die meisten waren einfach nur so hierhergekommen, ohne etwas zu erwarten, man wollte eben einfach dabei sein, wenn Eykes Schiff für eine kurze Stunde anlandete und für die nötige Abwechslung im Inselleben sorgte. Alle packten mit an. Begleitet von jeder Menge»Hau ruck!« lagen bald am Rand der Dünen zahlreiche dicke Bündel.
    Aber der Schiffer Eyke brachte nicht nur Tiere und Werkzeug und anderen Kram mit, sondern auch Geschichten. Wo hatte eine Sturmflut den Deich zerrissen? Wie gestaltete sich das bunte Leben in den unvorstellbar großen Städten Aurich, Esens, Norden und Emden? Und seit dem letzten Winter gab es ein neues Thema, das die Insulaner aufhorchen ließ, sobald die erste Silbe gefallen war.
    »Was macht der Weiße Knecht?«, fragte diesmal Uke Christoffers.»Haben sie ihn gekriegt?«
    Tatsächlich waren jetzt alle still, und sogar die Kinder hörten auf zu toben. Vom Weißen Knecht wollte jeder etwas erfahren. Eyke wusste das. Er setzte sich in aller Seelenruhe auf die Reling, ließ die Füße baumeln und schaute sich um. Augenscheinlich genoss er seine Aufgabe, den unwissenden Inselbewohnern etwas von der großen Politik zu erzählen. Erst bei seinem letzten Besuch hatte er von Steuern und Hoheitsrechten gesprochen und davon, dass es Rebellen gab, die sich gegen den Fürsten zur Wehr setzten, weil er zu viel Geld von ihnen forderte. Und der schlimmste von ihnen, der gefährlichste, war ein Mann, der sich selbst der Weiße Knecht nannte. Man erzählte, er habe fast weißes Haar und kleide sich auch nur im hellsten Leinen. Und er fühle sich als Knecht des Volkes, hieß es weiter. Dies sei ein Protest gegen das Fürstenhaus, das durch sein ausschweifendes Hofleben die Steuergelder vergeude, die man eigentlich so nötig für den Deichbau brauchte. Das Volk war in seiner Meinung über den Weißen Knecht hin und her gerissen, einerseits schwärmte es für den mutigen und unbeugsamen Rebellen, andererseits fürchtete es sein Erscheinen. Denn er nahm keine Rücksicht, war stark und schrecklich wütend.
    »Nein, sie haben ihn nicht. Und sie werden ihn auch nicht bekommen. Denn der Weiße Knecht ist immer schneller als die hohen Herren aus Aurich.« Mit großen Augen blickte Eyke jetzt in die Runde.
    Maikea stand nun ebenfalls auf, sie hatte bislang wie ein Häufchen Elend im Sand gehockt. Obwohl sie von den Dingen, die den Weißen Knecht betrafen, so gut wie nichts verstand, war sie doch fasziniert. Sie vergaß sogar für einen Moment ihr trauriges Schicksal.
    »Es gab wieder schwere Kämpfe in Leer, habe ich gehört. Wie schon vor drei Jahren, als auf der Pfefferstraße die Soldaten des Fürsten gegen die Rebellen angegangen sind. Geschossen haben sie dieses Mal auch, es gab Tote und Verletzte. So viel Blut soll auf die Pflastersteine geflossen sein, dass alles rot war in den Straßen. Und einige Aufständische sind gefangen genommen worden und warten nun auf ihren Prozess.«
    »Ist der Weiße Knecht dabei?«, fragte Peta Visser mit einer Mischung aus Furcht und Neugierde.
    »Das weiß keiner so genau. Seit der Schlacht im April ist er verschwunden. Vielleicht ist er tot, vielleicht sitzt er im Gefängnis. Aber wenn ihr mich fragt … « Eyke hob wichtigtuerisch die Arme und schwieg. Er wusste, wie er das Publikum noch mehr in seinen Bann ziehen konnte.
    »Erzähl schon!«, forderte Bauer Runcke.»Was denkst du, Eyke? Was pfeifen die Spatzen von den Dächern?«
    Der Schiffer beugte sich ein wenig herunter und flüsterte, sodass man wirklich nah an ihn heranrücken musste, um seinen Worten zu lauschen.»Man sagt, der Weiße Knecht habe eigenhändig fünf Soldaten in den Tod geschickt. Ohne Waffe, versteht sich. Nur mit der Wucht seiner Fäuste. Dabei hatte die dänische Salvegarde jede Menge Musketen dabei, die besten Schusswaffen, die Ostfriesland je gesehen hat.« Eyke streckte seine kräftigen Arme aus, so wie es die Fischer manchmal zu tun pflegten, wenn

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