Die Inselvogtin
sie mit einem besonders glücklichen Fang prahlten. Aber dieser Bursche sprach von Waffen, die tödliche Kugeln abgaben, wenn man an einem Hebel zog. Kein schöner Gedanke, dachte Maikea, aber trotzdem ungemein spannend.
»So einen Kerl «, fuhr Eyke fort,» den kriegt man nicht so einfach. Der Weiße Knecht wird ihnen wieder einmal entkommen sein. Er ist der wichtigste Mann im Kampf gegen die geldgierigen Cirksena und den verfluchten Kanzler Brenneysen und -«
Er hielt inne. Normalerweise geriet Eyke nicht ins Schwärmen, wenn er von den Rebellen sprach, denn das barg ein Risiko. Hier auf der Insel gab es wie überall treue Anhänger des Fürsten. Und wenn diese seine Ausrufe an die richtigen Stellen weitergaben, konnte er eine ganze Weile im Gefängnis schmoren, statt mit seiner Schaluppe die Wasserwege zu kreuzen. Maikea ahnte, dass der Fährmann der Wahrheit ohnehin stets ein paar Sätze hinzufügte, um den Juistern ein bisschen Aufregung zu bescheren.
»Ich muss wieder los «, sagte er plötzlich.»Wir haben schon fast Hochwasser, und ich muss noch über die Untiefen am Memmertsand rutschen, damit ich abends wieder in Norden bin.« Er stand auf und gab den etwas enttäuschten Juistern Zeichen, dass sie ihm das Ankerseil zuwerfen sollten.
»Halt, Eyke, du musst heute Passagiere mitnehmen «, hörte Maikea die Stimme des Pastors. Altmann musste die ganze Zeit in der Menschenmenge gestanden haben, ohne dass Maikea ihn bemerkt hatte.
»Oh, das freut mich. Dann wird es nicht so öde auf dem Watt. Wer leistet mir denn Gesellschaft?« Der Blick des Schiffers blieb an einigen Jungfrauen hängen, die daraufhin erröteten.
Pastor Altmann trat zu Maikea, ergriff sanft ihren Arm und schob sie Richtung Boot.»Hier, die Tochter des seligen Vogtes Boyunga. Eine wertvollere Fracht hast du selten.«
Eyke sah eher enttäuscht aus. Ein kleines Mädchen war wohl nicht nach seinem Geschmack. Er fasste nach Maikeas Arm und zog sie an Bord. Pastor Altmann reichte ihren Beutel nach und drückte seiner Schülerin ein letztes Mal fest die Hand. Maikea hatte das Gefühl, als schnüre ihr jemand den Hals zu. Sie musste sich an der Reling festhalten.
»Leb wohl, Maikea. Und sei fleißig und gottesfürchtig, so wie ich es dich gelehrt habe. Dein Vater wäre jetzt sehr stolz auf dich!« Der alte Mann musste sich zusammennehmen, um den Abschiedsschmerz nicht allzu offensichtlich werden zu lassen.
»Na, dann wollen wir mal «, sagte Eyke und wollte gerade die Segel hissen.
»Nicht so schnell, Kapitän, du hast noch einen Passagier!«, rief der Pastor. Einen kurzen Moment hüpfte Maikeas Herz vor Freude, denn sie war froh, nicht ganz allein fahren zu müssen. Doch dann erkannte sie, wer sie auf ihrer Reise begleiten würde: Weert Switterts machte sich auf den Weg durch das Watt. Auch er hatte ein Bündel dabei, es war wesentlich dicker als das von Maikea. Und im Gegensatz zu ihr schien er Gefallen daran zu finden, auf Reisen zu gehen. Maikea konnte ein boshaftes Blitzen in seinen Augen erkennen. Kein Zweifel, er schien schon etwas ausgeheckt zu haben, wie er ihr diesen ohnehin schwer erträglichen Moment noch unangenehmer machen konnte. Warum musste ausgerechnet Weert Switterts ihr Reisebegleiter sein? Was dachte sich Pastor Altmann dabei, wo er doch wusste, wie spinnefeind sich die beiden waren?
»Gleich zwei Kinder?«, beschwerte sich Eyke.»Was soll ich denn mit denen anfangen, wenn wir an Land festmachen?«
»Sie werden abgeholt. Pastor Bilstein, der Leiter des Waisenhauses in Esens, wird eine Kutsche schicken, die die beiden zu ihrem neuen Zuhause bringt.« Pastor Altmann wich Maikeas Blick aus. Also musste er die ganze Zeit gewusst haben, dass sie nicht alleine dort hingehen würde. Und er hatte es ihr verschwiegen, weil ihm klar war, mit Weert Switterts im Schlepptau wäre sie niemals mitgefahren.
Maikeas Herz fühlte sich so schwer an, dass das schwimmende Boot eigentlich Schlagseite hätte haben müssen. Aber es lag gerade und satt in den Wellen, als die Insulaner es gemeinsam ins tiefere Wasser schoben.
Maikea drehte sich zum offenen Meer um, ohne noch einen Blick auf die Insel Juist zu werfen. Immer hatte sie sich ausgemalt, wie ihre Heimat wohl von der Wattseite her aussehen würde. Die flachen und hohen Dünen, die geduckten Steinhäuschen, die graugrünen Salzwiesen. Aber nun schaute sie lieber in die entgegengesetzte Richtung. Schemenhaft konnte sie den Ort erkennen, wo dieses Boot in ein paar Stunden ankommen
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