Die Inselvogtin
können!«
Einige Sekunden war es so still im Hof, dass man das Gackern der unbeteiligten Hühner hören konnte.
»Willst du damit sagen, der Weiße Knecht ist hier gewesen?« Einer der Soldaten hatte Weert an den Schultern gepackt.
»Aua, Ihr tut mir weh!«, jammerte Weert.»Woher soll ich denn wissen, wer das war? Ich bin noch nicht so lange hier! Ich kenne keinen Weißen Knecht … «
»Lasst ihn los!«, forderte die Fürstin, die sich beinahe unbemerkt neben ihren Sohn gestellt und die Situation beobachtet hatte.»So, wie es aussieht, hat dieser Junge gerade eine Räuberbande verjagt. Wir sollten ihm dankbar sein und ihn entsprechend behandeln!«
»Und wenn es tatsächlich der Weiße Knecht war?«, fragte einer der Soldaten.
»Dann schulden wir dem Jungen hier noch größeren Respekt, weil er einen Angriff auf den Fürstensohn vereitelt hat. Denkt nur daran, was dieses Ungeheuer unseren Soldaten in der Pfefferstraße angetan hat.«
Alle schauten auf Weert, der seine Schultern hängen ließ und zu Boden blickte.
Nein, dachte Maikea, so viel Demut passt einfach nicht zu ihm. Der muss uns hier irgendetwas vorspielen. Warum auch immer.
»Wir gehen wieder hinein. Und ich wünsche den Jungen zu sprechen, nachdem er die Gelegenheit hatte, sich frisch zu machen. Bis dahin solltet Ihr Euch Gedanken machen, wer etwas vom Besuch des Erbprinzen gewusst haben kann, damit wir dem Kanzler berichten können, wenn er uns gleich abholen kommt.«
Mit diesen Worten schob sie den sichtlich verstörten Fürstensohn vor sich her zurück ins Gebäude.
Die Soldaten stellten sich gerade auf und zogen ihre Hüte.»So soll es geschehen, Durchlauchtigste Regierende Fürstin.«
Während sich alle Umstehenden wieder in den Speisesaal begaben, zog Maikea ihre Freundin zur Seite.»Kann ich dich einen Moment sprechen?«, flüsterte sie.»Du kennst doch die Fürstin und ihren Stiefsohn.«
»Ja, seit meiner Geburt. Warum?«
»Ich werde gleich im Speisesaal sehr langsam den Tisch abräumen, denn ich will mitbekommen, was Weert den Soldaten und der Fürstin zu erzählen hat.«
»Und dann?«
»Es könnte sein, dass ich etwas zu sagen habe. Also, falls ich den Mund aufmache, kannst du dann … also, ich meine … «
»Ich werde ihnen sagen, dass du meine beste Freundin bist und nur sehr kluge Sachen sagst. Meistens jedenfalls.«
»Denkst du, sie werden mir zuhören?«
11
D ie Glocke von St. Magnus schlug sechsmal.
Der Weiße Knecht wurde ungeduldig.
Am Herdetor lösten sich bereits die Wachen ab. Einige Händler zogen ihre Karren aus der Stadt. Sie machten unzufriedene Gesichter, was aber nicht bedeuten musste, dass ihre Geschäfte schlecht gelaufen wären. Die Menschen, die am meisten in den Taschen hatten, schauten oft am missmutigsten drein, dachte der Weiße Knecht.
Niemals wollte er sein Leben mit diesen Männern tauschen, auch wenn er schon manchen Tag erlebt hatte, an dem er nicht wusste, ob er etwas zu beißen haben würde. Und auch wenn schon manche Nacht vergangen war, ohne dass er ein Dach über dem Kopf oder eine weiche Unterlage gehabt hätte. Doch wenn er diese Händler beobachtete, die ihren Kopf nur zum Rechnen benutzten und denen das Herz höchstens dann brach, wenn sie von ihrem Verdienst den Steueranteil zahlen mussten, bedauerte er sie. Den Reichtum neidete er ihnen nicht. Sie mochten fein daherkommen und Wein trinken und eine Hütte ihr Eigen nennen, aber sie waren unfrei und merkten es noch nicht einmal.
Er fühlte sich reicher als sie. Denn er hatte sich seine Freiheit bewahrt. Er war sein eigener Herr und niemandem Rechenschaft schuldig. Kein Meister, der ihm vorschrieb, dass er vor Sonnenaufgang aufzustehen hatte. Er konnte leben, wie und wo er wollte.
Seit der Schlacht in der Pfefferstraße hatte er sich in Esens niedergelassen. Es war nicht das schlechteste Fleckchen Erde, wenn man unerkannt bleiben wollte.
Das nicht allzu weit entfernte Aurich war stets gut bewacht, weil dort die Fürstenfamilie residierte. In Emden hätte man ihn und die seinen vielleicht am ehesten vermutet, denn die Hafenstadt weigerte sich nach wie vor recht erfolgreich gegen die Unterdrückung durch die Cirksena und galt als Hochburg der Renitenten. Oder aber man suchte ihn in Leer. Seit der Schlacht in der Pfefferstraße war auch dieser Fleck nicht mehr zum Leben geeignet. Und in Norden war er zu bekannt, denn dort hatte er seine Jugendjahre verbracht und mal hier und mal dort gearbeitet.
Also blieb nur Esens. Dies würde
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