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Die Inselvogtin

Die Inselvogtin

Titel: Die Inselvogtin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sandra Lüpkes
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in die Höhe und scharrte ungeduldig mit den Hufen, als die Kutsche des Fürsten herannahte. Tatsächlich war sie in den Galopp gefallen und rauschte nun an ihnen vorbei. Kurz konnte der Weiße Knecht einen Blick in das Wageninnere werfen: Die Fürstin saß auf der ihnen zugewandten Seite, den Kopf des Jungen hatte er nur als Schatten neben ihr wahrnehmen können. Es ging alles viel zu schnell. Aber wenn er diesem Gefährt noch weiter hinterherstarrte, dann verlor er wertvolle Zeit und würde es nie einholen können.
    »Los geht’s!«, rief der Hitzkopf. Er saß bereits im Sattel und hielt die Zügel des aufgeschreckten Tieres stramm, bevor er ihm in die Flanken trat. Auch der Weiße Knecht hatte seine Stiefel bereits links und rechts in den Steigbügeln. Welch ein Glück, dass er einen Friesen erwischt hatte. Diese einheimischen Pferde waren kraftvoll und schrittsicher, aber gleichzeitig auch folgsam, wenn sie einen geübten Reiter auf ihrem Rücken hatten. Auf dem schwarz glänzenden Tier würde er keine zwei Wimpernschläge brauchen, bis er den Hitzkopf eingeholt hatte.
    »Pferdediebe!«, schrie ein Mann hinter ihnen her.»Haltet sie!«
    Doch das Rufen ging im allgemeinen Tumult unter, den die fürstliche Kutsche verursachte, als sie durch das Tor raste. Zwei kleine Kinder weinten, die Hühner im Käfig eines Händlers flatterten aufgeregt herum, ein alter Mann lag neben der Straße und hielt sich den blutenden Kopf. Er musste sich beim Ausweichen der Kutsche verletzt haben. Der Weiße Knecht riss die Zügel im letzten Augenblick nach links, sonst hätten die Hufe des Pferdes dem Verletzten noch den Rest gegeben.
    »Du Wahnsinniger!«, rief dieser ihm hinterher und erstarrte, als er sah, wie der Reitende seinen grünen Umhang abstreifte und sich den Stoff um die Hüfte legte.
    »Um Himmels willen, es ist der Weiße Knecht!«
    Doch der Weiße Knecht war zu schnell, um mehr von der Aufregung mitzubekommen. In zwei oder drei Hufschlägen hätte er die Kutsche der Fürstin erreicht. Er trieb seinen Gaul noch stärker an. Denn vor ihnen, mitten auf der staubigen Straße, entdeckte er jetzt den Wagen ihres Verbündeten. Auf diesem schmalen Wegstück würde es dem fürstlichen Gefährt unmöglich sein, zu überholen.
    »Mach Platz, du Idiot!«, schrie der Kutscher.»Im Namen des Fürsten, schieb deine halb toten Klappergäule auf den Acker und lass uns durch!«
    Der Wagen vor ihnen bewegte sich nun immer langsamer. Schließlich wurden die Kutschpferde ein Stück herumgerissen, und das Gefährt schwankte gefährlich. Ein paar Fässer kamen ins Rollen und fielen auf die Straße.
    »Was ist hier los?«, fluchte der fürstliche Kutscher. Seine Pferde scheuten, als er sie mit stramm gezogenen Zügeln zum Stehen brachte, und ihre Hufe wirbelten den Staub der Straße auf.
    Inzwischen war der Weiße Knecht an die rechte Wagenseite gelangt. Gern hätte er sich den Schrecken der Fürstin und den ängstlichen Blick des Thronfolgers angesehen. Aber ihm genügte die Genugtuung, nun doch noch sein Ziel erreicht zu haben. Hier in der Nähe der dichten Baumreihe hatten sie den Überfall ohnehin geplant. Den Weißen Knecht und seine Leute überlistete man nicht so schnell. Doch für zufriedene Schadenfreude blieb keine Zeit, denn von hinten näherten sich die Wachen auf ihren Pferden.
    Der Weiße Knecht hatte sich zwar auf ein kurzes Gefecht mit den Soldaten eingestellt, aber irgendetwas erschien ihm merkwürdig, und er schreckte kurz zusammen. Wenn die Pläne zur Entführung des Fürsten bekannt gewesen waren, warum hatte man dann nicht links und rechts eine Eskorte mitreisen lassen? Stattdessen saßen die Fürstin und ihr Stiefsohn ganz allein und unbewacht auf ihren Plätzen. Niemand reiste mit ihnen, abgesehen vom Kutscher, der ja eigentlich mit dem Wagenlenken beschäftigt war. Was hatte das zu bedeuten?
    So viel Leichtsinnigkeit passte nicht ins Bild. Aber jetzt war nicht die Gelegenheit, sich darüber den Kopf zu zerbrechen. Er musste handeln, und zwar schnell.
    »Kümmere du dich um den Kutscher, ich nehme den Jungen «, rief er dem Hitzkopf zu und riss die Tür der Kutsche auf.
    Im Inneren war es so dunkel, dass er das Gesicht der Fürstin kaum erkennen konnte. Sie kam ihm seltsam mager und um Jahre gealtert vor. Vielleicht war es der Schock, vielleicht war sie auch einfach müde oder krank. Der Junge neben ihr presste sich in seinen Sitz. Auch er sagte nichts. Kein Flehen, kein Drohen. Nichts.
    Die beiden Passagiere schienen

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