Die Inselvogtin
besonders zu schaffen machte, seinen ganzen Oberkörper schüttelte.
»Halt!«, japste er.»Switterts, denkt doch mal nach. Wir können dieses Mädchen … ähm, ich meine diese Frau, nicht gefangen nehmen. Sie hat damals ihr Leben riskiert. Und die Fürstin hat sich mehrfach nach ihrem Verbleib erkundigt. Wenn wir sie nun in Haft nehmen, wird das den Herrschaften ganz sicher nicht gefallen.« Wieder räusperte er sich.»Zudem halte ich Eure Reaktion für maßlos übertrieben. Ich würde mir gern einmal anhören, was das Weib uns eigentlich zu berichten hat.«
Dieses Mal galt das Kopfnicken der Ratsherren dem Kanzler, und Weert musste Maikea wieder loslassen. Sie quittierte das mit einer Miene, die ihn an ihre Streitereien als Kinder erinnerte, wenn sie immer und immer wieder von Pastor Altmann recht bekommen hatte.
»Ich danke Euch, Kanzler. Und ich werde versuchen, mein Anliegen kurz und verständlich darzulegen, auch wenn ich selbst ein paar Monate gebraucht habe, um es herauszufinden.«
»Macht Euch keine Sorgen, Jungfer. Was ein Weib verstehen kann, wird für einen Mann wohl kaum ein Problem darstellen.« Brenneysen rückte zur Seite und machte Platz auf der Tischfläche, damit Maikea die mitgebrachte Papierrolle ausbreiten konnte. Und obwohl er interessiert die Augenbrauen in die Höhe zog, war ihm doch anzumerken, dass er mit der Zeichnung und den vielen Zahlen vor sich auf den ersten Blick nichts anzufangen wusste.
Auch Weert näherte sich dem Tisch. Maikea hatte eine Ostfrieslandkarte mitgebracht, sie schien neueren Datums zu sein. Die Linien waren mit exzellenter Sorgfalt gezogen, und es gab seines Wissens nur einen Zeichner, der eine solche Qualität lieferte: ein alter Jude in Westerbur.
»Die Wache sagte, Ihr hättet das Rätsel der Sturmfluten gelöst «, spottete Brenneysen.»Das klingt derart unbescheiden, dass es mir fast widerstrebt, Euren Worten zu lauschen. Dennoch gönnen wir uns heute mal den kleinen Spaß, denn ich bin mir sicher, um einen solchen muss es sich hierbei handeln.«
Doch Maikea ließ sich nicht beirren.»Schaut her, Kanzler. Ich habe die Größe der Inselflächen genommen und den Abstand zum Festlanddeich in die Rechnung miteinbezogen. Ich hatte die Idee, dass Breite und Tiefe des Seegatts, aber auch die Stärke seiner Strömung von diesen Faktoren abhängen. Man kann also eine Karte als Vorlage nehmen, die Entwicklung des Meeresspiegels bedenken, dann die Gezeiten dazurechnen, und schon … «
Brenneysen unterbrach ihren Redeschwall streng:»Und schon hat ein vorlautes Inselmädchen das Rätsel der Sturmfluten gelöst, über das sich Generationen den Kopf zerbrochen haben und das wohlgemerkt einzig und allein in der Gnade oder Ungnade unseres Herrn begründet liegt!«
»Ich dachte mir, dass Ihr so etwas sagen könntet. Aber ich denke nicht, dass man sich in Gottes Handwerk einmischt, nur weil man die Regeln seiner Schöpfung studiert und Lehren daraus zieht.« Maikea blickte den Kanzler direkt an, schlug nicht für einen Moment die Augen nieder, wie es jeder andere getan hätte, wenn er der Strenge des mächtigsten Mannes im Land ausgesetzt gewesen wäre.»Hört mir noch ein wenig zu, vielleicht werdet Ihr dann erkennen, was ich meine.«
Brenneysen hustete statt einer Antwort und ließ sich wieder in seinen Stuhl fallen. Während Maikea mit ihrem Vortrag fortfuhr, starrte er weiter auf die Karte.
»Bislang hat man geglaubt, es sei geschickt, dort, wo die Sturmfluten am meisten Schaden hinterlassen, neuen Strandhafer zu pflanzen oder Zäune als Sandfang zu errichten. Oft erwiesen sich diese Maßnahmen aber als sinnlos. Ich erinnere mich genau, wie wütend die Insulaner waren, wenn der Pastor sie im Sommer zur Strandpflege aufforderte und der erste Herbststurm in wenigen Stunden alle Arbeit wieder zunichtemachte.« Es sprudelte nur so aus Maikea heraus. Und obwohl Brenneysen ein skeptisches Lächeln auf den Lippen trug, wusste Weert, dass dieser Vortrag den Kanzler nicht unberührt ließ.
»Und was versprecht Ihr Euch von diesen neuen Berechnungen?«
»Mit diesem Wissen könnte man die Dünen auf den Inseln ganz gezielt bepflanzen und stärken, und zwar nicht nur an der Brandungsseite, wo ohnehin das meiste wieder fortgespült wird, sondern zur Wattseite hin. So wächst die Fläche der Insel, und das Seegatt wird kleiner. Man hätte letztlich weniger Arbeit und einen größeren Nutzen.«
Ein Räuspern und Flüstern erfüllte den Raum. Tatsächlich schien Maikea die
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