Die Inselvogtin
Weert ihn zurückhielt.
»Halt, warte, eines ist noch wichtig!« Weert zog seinen Sekretär dichter an sich heran.»Es soll so aussehen, als käme dieser Befehl nicht von mir. Verstehst du? Man soll denken, Brenneysen stecke dahinter. Dann gibt es noch einen Gulden obendrauf.«
Wie er seine Leute kannte, war die Sache bis spätestens morgen erledigt. Und dann würde Maikea ihm aus der Hand fressen. Ein gemeinsames Feindbild war der beste Grund, gemeinsame Sache zu machen.
3
M aikea war geradezu verwirrt über ihren Erfolg. Sie konnte es kaum erwarten, zu Josef Herz zurückzukehren und ihm davon zu erzählen. Seine Befürchtungen hatten sich gottlob nicht erfüllt. Noch gestern Abend hatte er sie mehrfach ermahnt, nicht selbst nach Aurich zu fahren. Aber sie war vor Sonnenaufgang aufgebrochen, noch bevor ihr Lehrmeister erwacht war und sie von ihrem Plan hätte abbringen können.
Zu gern wäre sie sofort nach Hause geeilt, doch wenn sie die Verabredung am nächsten Tag mit Weert einhalten wollte, gab es keine andere Möglichkeit, als die Nacht hier in Aurich zu verbringen.
Es war seltsam, ihrem alten Begleiter aus Kindertagen wiederbegegnet zu sein. Sympathisch fand Maikea ihn nach wie vor nicht, aber wenn er bereit war, ihre Idee zu fördern, sollten derlei Gefühle besser keine Rolle spielen.
Das Schloss in Aurich war beeindruckend. Zwar hatte Maikea mit Josef Herz manchmal Kutschfahrten unternommen und dabei Lustschlösser, ehemalige Klöster und andere Bauten in Ostfriesland zu sehen bekommen. Aber die Burg in der Mitte des Fürstenhofes war bei weitem imposanter. Es gab mehrere breite Wassergräben. Die beiden äußeren hatte Maikea bei ihrem beherzten Eintritt durch das erste Burgtor passiert, ein anderer umfing das eigentliche Schloss mit seinen Zinnen und Türmchen und unzähligen Fenstern. Es war schneeweiß bis auf das schiefergraue Dach. Links erhob sich ein eckiger Turm in die Höhe, auf der anderen Seite befand sich ein zierlicheres, rundes Glockentürmchen. Wahrscheinlich war dort die Kapelle, dachte Maikea, als sie über den Schlosshof schritt. Angeblich fand sich die Fürstenfamilie hier mehrmals täglich zur Andacht ein. Das Treiben im Außenhof folgte einem unhörbaren Befehl: Wachleute machten ihre Rundgänge, Küchenjungen zogen Holzkarren mit allerhand Gemüse hinter sich her, junge Mädchen trugen Körbe mit weißem Linnen über den Platz.
Die Wächter am Burgtor schauten missmutig zu ihr herüber, wahrscheinlich hatte es ihnen nicht gefallen, von einer Frau überrumpelt worden zu sein.
Gerade wollte Maikea sich den Kopf darüber zerbrechen, wie sie ohne Geld in den Taschen in dieser fremden Stadt ein Bett finden konnte, da hörte sie jemanden ihren Namen rufen. Es war eine Frauenstimme, die sie noch nie gehört hatte, die ihr aber trotzdem seltsam vertraut erschien. Maikea schaute sich nach allen Richtungen um, doch es war niemand auszumachen.
»Hier oben bin ich!«
Die Stimme kam aus einem Gebäude auf der anderen Seite des Burgtores. Es schien eine Art Gesindehaus zu sein, denn soeben trug eine Magd ihren Wäschekorb dorthin. Maikea nahm an, dass im Untergeschoss eine Hauswirtschafterei untergebracht war.
Aus einem der kleinen Fenster, fast unter dem Dach, sah sie eine Hand winken.
»Maikea? Du bist es tatsächlich! Ich glaube, ich träume!« Nun lehnte sich eine Gestalt ein wenig über die Fensterbrüstung. Sie hatte dunkelblonde Haare, die fein säuberlich zu einem Knoten gesteckt waren, rote Wangen und ein herzliches Lächeln. Ja, das Lächeln kannte Maikea.
»Jantje!«
»Warte, bitte warte, ich bin gleich bei dir!«, rief ihre alte Freundin und gluckste fröhlich, sodass Maikea an die wenigen wirklich lustigen Momente im Waisenhaus erinnert wurde. Sie konnte ihr Glück kaum fassen. In all den Jahren hatte sie oft an Jantje Haddenga gedacht, wie mutig und gut gelaunt sie stets gewesen war und wie sie ihr mehr als einmal aus der Patsche geholfen hatte. Auf ein Wiedersehen hatte sie nicht zu hoffen gewagt.
Nur ein paar Augenblicke später kam Jantje aus einem der seitlichen Eingänge gerannt, so schnell, dass sie fast über ihre lange, schneeweiße Schürze gefallen wäre.
»Maikea Boyunga! Alle haben mir erzählt, du seiest tot!« Die beiden jungen Frauen fielen sich in die Arme und hielten sich fest, als ginge es darum, möglichst heftig zu spüren, dass dies hier kein Hirngespinst war.
»Wer hat das behauptet?«
»Im Waisenhaus haben sie es erzählt. Und meine jetzige
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