Die Inselvogtin
vertraute Geste unter Freunden, aber sie beide waren keine Freunde. Maikea hatte keine Ahnung, wovon er sprach. Sie schaute ihn an – und sah einen fremden, jungen Mann in feudaler Kleidung, die besser zu ihm passte als die Hosen und Hemden, die er auf Juist und im Waisenhaus getragen hatte.
»Dir scheint es zumindest blendend zu gehen, Weert Switterts.«
Sie hatte ein selbstgefälliges Lachen erwartet, doch stattdessen senkte er den Kopf.
»Das täuscht, Maikea. Das sind nur Samt und Seide, die mich nach außen so zufrieden erscheinen lassen. Aber in mir drinnen sieht es anders aus … « Er seufzte.»Der amtierende Kanzler ist grausam. Es ist eine Strafe, mit ihm zu arbeiten. Du bist nicht die Einzige, die unter seiner menschenverachtenden Politik zu leiden hatte. Viele Mutige vor und nach dir sind von ihm vergessen oder sogar bestraft worden. Es wird Zeit, dass ein Machtwechsel stattfindet. Und jetzt, mit dem neuen Fürsten, wäre die richtige Zeit, auch einen jüngeren Vertreter in dieses Amt zu schicken.«
»Lass mich raten: Du denkst dabei an dich selbst?«
»Vielleicht. Zwar gibt es auch noch den Hofmarschall, der rein formell der nächste Mann wäre, aber er ist ebenso alt wie Brenneysen.«
»Und was würdest du besser machen in diesem Land?«
»Ich würde mir zumindest einmal anhören, was die Rebellen zu sagen haben. Es wird Zeit, dass in diesem Land endlich Frieden herrscht zwischen den Ständen. Und dafür würde ich all meine Kraft verwenden, wenn man mich nur endlich ließe … «
Maikea durchschaute sein Theater sofort.»Du kannst mir nichts vorspielen, das ist dir noch nie gelungen! Schon damals, deine Vorstellung im Hof, als du angeblich vom Weißen Knecht angegriffen worden bist … Ich weiß inzwischen längst, dass kein Wort davon wahr gewesen ist. Also spar dir deine Mühe!«
Er stutzte kurz, dann lachte er laut los und zog seine Hand endlich von ihrer Schulter zurück.
»Meine Güte, ja, ich habe ganz vergessen, wie lange wir beide uns kennen. Wahrscheinlich tust du gut daran, mir den Trauerkloß nicht abzunehmen.« Weder griff er sich eine Leckerei. Eine saftige, runde Scheibe, die der Sonne glich, verschwand zwischen seinen Lippen.»Ananas. In Frankreichs Glashäusern gediehen und dann mit dem Eilboten an diesen Hof gebracht, denn das Obst ist empfindlich.« Der Saft tropfte an seinem Kinn herunter, und Weert wischte mit dem Ärmel darüber.»Einfach köstlich … «
»Weert, lass uns ehrlich sein. Wir haben uns damals nicht gemocht, und wir tun es heute nicht. Ich bin nicht zu dir gekommen, um eine Plauderstunde abzuhalten, sondern weil ich mit einer wichtigen Botschaft zum Fürsten vorgelassen werden will. Mir ist es egal, ob du eine politische Karriere anstrebst, weil du dein Land liebst, oder eher, weil du dir gern den Bauch mit teurem Essen füllst. Aber wenn du ein guter Kanzler werden willst und lange im Amt bleiben möchtest, dann solltest du dir diese Pläne genauer ansehen.« Maikea legte die Landkarte, auf der die Ostfriesischen Inseln wie eine Perlenkette entlang der Küstenlinie zu erkennen waren, vor sich auf den Tisch und strich sie glatt. Ihre Worte verfehlten ihre Wirkung nicht. Zum ersten Mal hatte sie den Eindruck, dass Weert sich tatsächlich für die Papiere interessierte, denn er unterließ die Schlemmerei und beugte sich über den Tisch.
»Schau mal «, begann Maikea.»Mit der besseren Inselsicherung schützt du auch den Deich. Wenn diese Pläne in die Tat umgesetzt werden, wirst du bei der nächsten Sturmflut zahlreiche Menschenleben bewahren können. Das Volk wird dich dafür lieben.«
Weert brummte kurz, während er mit einem Finger die Küstenlinie entlangfuhr. Dann verfolgte er die ostfriesischen Landesgrenzen, und Maikea kam es vor, als täte er dies beinahe liebevoll.
»Dieses Fürstenreich ist so stattlich. Die einzige Grenze, die uns immer wieder Kummer bereitet, ist die nördliche. Die See, die Stürme, die teuren Deiche, die dann doch nichts taugen. Ja, Maikea, du magst recht haben, wer die Grenze zwischen Land und Meer sichert, der ist ein wahrer Held … «
»Und wahre Helden werden gute Kanzler «, vervollständigte Maikea den Gedankengang.
»Und welche Rolle willst du dabei spielen, Maikea Boyunga?« Wieder trat er nah an sie heran, so nah, dass sie seinen süßlichen Atem riechen konnte.»Es sind Pläne, die du allein nicht umsetzen kannst. Um eine Heldin zu sein, brauchst du jemanden, der dir dabei den Rücken stärkt. Sonst wird kein
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