Die Inselvogtin
sein Bein angegriffen hatten, bereits über den Toten hermachten. Das Hemd des Kartenmalers schien zu glühen, sein weißes Haar brannte, die Haut veränderte ihre Form und Farbe.
Es gab keine Möglichkeit mehr, den Toten zu bergen. Der Weiße Knecht wusste nicht, was er tun sollte. Ein Gebet sprechen? Nein, er glaubte nicht an Gott, schon lange nicht mehr.
Also zog er diesen verfluchten Brief hervor und überflog die Zeilen. Es war ein Schreiben mit amtlichem Siegel, ein Befehl des Kanzlers. Unterschrieben und besiegelt von Brenneysen persönlich. Man solle den Landesverräter Josef Herz verhören – wenn nötig auch mit Gewalt. Der Kanzler hatte seinen Männern damit einen versteckten Auftrag zum Mord gegeben. Sie sollten Josef Herz töten.
Zwar konnte er dem alten Juden kein Gebet mit auf den Weg geben. Aber ein Versprechen. Einen Schwur.
Von heute an würde er wieder die alte Kleidung tragen. Der Kampf, den er vor Jahren aufgegeben hatte, war noch nicht zu Ende.
Der Weiße Knecht war wieder da.
5
W as willst du, Maikea? Du kannst alles haben, greif nur zu!«
Weert Switterts gab eine seltsame Vorstellung ab, dachte Maikea. Sie befanden sich in einem großen Raum mit hohen Decken, der ebenfalls im oberen Stockwerk des Marstalls untergebracht war, jedoch kein Sitzungssaal war, sondern Weert Switterts’ persönliches Amtszimmer. Aus irgendwelchen fadenscheinigen Gründen war ihm der Sitzungssaal für ihr Treffen zu unpersönlich erschienen, und er hatte die Dienerschaft angewiesen, die Unterlagen und eine Kleinigkeit zu essen hierher zu bringen. Die Kleinigkeit hatte sich als ein opulentes Festmahl entpuppt. Auf einem silbernen Tablett türmten sich Früchte und Gebäckstücke, die Maikea noch nie gesehen hatte, und ein persönlicher Page schenkte Wein in kristallene Gläser. Danach zog er sich diskret zurück und ließ die beiden allein.
Weert, der sich auf die Kante seines ausladenden Schreibpults gesetzt hatte, schob sich ein mit Zucker überzogenes Hörnchen in den Mund. Anschließend lutschte er seine Finger ab und forderte Maikea mit Gesten auf, ebenfalls zuzugreifen. Sie blieb jedoch mitten im Raum stehen, obwohl sie hungrig und durstig war, und fragte sich, was dieser Aufzug bedeutete. War das hier wirklich eine offizielle Besprechung? Und wenn es das nicht war, was sollte das Ganze dann sein? Ein Begrüßungsfest? Weert und sie hatten sich nie besonders gemocht, es gab also keinen Grund, ein Wiedersehen zu feiern.
»Hast du dir meine Berechnungen und Pläne angeschaut?«, fragte sie deshalb betont kühl.
»Ach, Maikea, ich bitte dich! Vor dir stehen die Schätze der fürstlichen Vorratskammer, und du kommst gleich zum Geschäftlichen … «
»Mir wäre es lieber, erst nach der Unterhaltung zu speisen.«
»Was spricht dagegen, sich zuvor mit süßem Wein die Stimme zu ölen?« Weert reichte ihr ein randvoll gefülltes Glas mit einer golden schimmernden Flüssigkeit.»Ein guter Tropfen für Könige! Herrscher und alle, die was auf sich halten, lassen sich diesen Tokajer aus Ungarn liefern. Selbst die russische Zarin soll verrückt danach sein.«
Maikea roch nur kurz an dem Getränk. Ein unangenehm süßliches Aroma wie von verdorbenem Obst stieg ihr in die Nase.
»Ist mir gleich. Ich trinke so etwas nicht.«
»Du weißt nicht, was dir entgeht.« Weert nahm einen großen Schluck, dann lächelte er sie an und zeigte seine Zahnlücke.»Aber nun erzähle doch mal, wie ist es dir in der Zwischenzeit ergangen?«
Maikea zögerte.»Ich habe bereits gestern gesagt, dass -«
»Keine Sorge «, unterbrach er sie.»Ich will dich nicht über die Rebellen ausfragen, bei denen du gelebt hast. Wahrscheinlich fühlst du dich diesen Menschen mittlerweile zugehörig. Das kann man dir auch nicht verübeln. Schließlich haben Kanzler Brenneysen und seine Leute dich damals ganz schön hängen lassen. Niemand hat sich die Mühe gemacht, dich zu befreien, obwohl du mutiger warst als wir alle zusammen. Hätte ich gewusst, dass du noch lebst, ich hätte keine Ruhe gegeben. Schließlich stammen wir beide – wie sagt man so schön? – aus demselben Stall. Ich hätte dich gerettet!«
Maikea glaubte ihm kein Wort, dazu kannte sie ihn zu gut. Sie schwieg.
»Aber das meine ich auch nicht, wenn ich frage, wie es dir ergangen ist.« Weert erhob sich und kam auf sie zu. Sein durchdringender Blick gefiel Maikea überhaupt nicht.
»Sondern?«
Wie beiläufig ließ er seine schwere Hand auf ihre Schulter fallen. Eine
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