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Die Inselvogtin

Die Inselvogtin

Titel: Die Inselvogtin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sandra Lüpkes
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reichte es allemal.
    Als das Pferd lostrabte und schließlich in einen geschmeidigen Galopp fiel, fühlte sich der Weiße Knecht zum ersten Mal an diesem Tag nicht mehr gänzlich hundsmiserabel. Obwohl es noch recht kühl war und sich die Sonne hinter den faserigen Wolken versteckte, kündigte sich bereits der Sommer an. Das Getreide wuchs üppig auf den Feldern, die Vögel machten Radau, und der Himmel versprach schönes Wetter.
    Auf halbem Wege kam ihm eine Gruppe Soldaten entgegen, die allesamt grimmig dreinblickten und aussahen, als hätten sie soeben eine Schlacht verloren. Ihre Pferde waren links und rechts beladen mit länglichen Bündeln, zwei der Männer zeigten rußgeschwärzte Hände, einer von ihnen hatte feuerrotes Haar. Der Weiße Knecht grüßte mit respektvoller Geste.
    Für die Menschen dieser Gegend trug er den Namen Wilko Jaspers, und man hielt ihn für einen Fürstentreuen. Also musste er sich auch entsprechend verhalten.
    Seine weiße Kleidung holte er nur für Versammlungen hervor. Der Stoff war inzwischen schmutzig, von Motten angefressen, die Fasern dünn und zerschlissen. Vielleicht gab es den Weißen Knecht längst nicht mehr, dachte er. Übrig geblieben war höchstens ein Grauer Knecht, den niemand mehr fürchtete. Vielleicht war der Kampf zu Ende. Nur hatte er es nicht bemerkt.
    Der Wechsel im Fürstenhaus zu Carl Edzard als Regenten hatte ihm ein paar Tage lang die trügerische Hoffnung geschenkt, dass alles anders werden könnte in Ostfriesland. Aber nun ahnte er, dass alles beim Alten bleiben würde. Kanzler Brenneysen gab sich unbelehrbar, der neue Geheime Rat war noch selbstherrlicher als der alte, und der junge Fürst hatte eine richtungweisende Erziehung genossen, warum sollte er also von sich aus irgendwelche Neuerungen bringen? Es war aussichtslos.
    Die Soldaten hatten ihn längst passiert, da blickte er ihnen noch einmal nach. Irgendetwas hatte ihn aus seiner Lethargie gerissen. Woher kamen die Männer eigentlich? Sie trugen besudelte Degen. Und rote Flecken prangten auf ihrer Rüstung. Es waren keine braunen Flecken. Das Blut musste also noch frisch sein. Der Weg, den sie gekommen waren, führte nach Westerbur. Kurz hinter dem kleinen Ort musste man nach links abbiegen, um zum Kartenmaler zu gelangen. Ritt man weiter, war da nur noch der Deich. Der Weiße Knecht wusste, in Westerbur lebten nur friedliche Bauern, zwei Schifferwitwen und ein steinalter Müller. Was hatten die Soldaten dort gemacht? Es gab dort niemanden, dessen Blut für die fürstliche Truppe von Belang gewesen wäre. Hier lebten keine Rebellen. Außer Josef Herz.
    Der Weiße Knecht trieb sein Pferd schneller an. Ein ungutes Gefühl beschlich ihn, nein, es war mehr als das. Eine panische Vorahnung breitete sich in ihm aus. Es war etwas passiert. Die Soldaten hatten den Kartenmaler besucht. Und es hatte einen Kampf gegeben.
    Tatsächlich sah das kleine Haus schon aus der Ferne anders aus als sonst, die Idylle war fort, Chaos an ihre Stelle getreten. Die Tür stand auf, ein Fenster war eingeschlagen. Rauch kam aus dem Kamin, schwarzer Rauch. Auch aus der zersplitterten Scheibe quollen dunkle Wolken, und im Türrahmen konnte der Weiße Knecht orangerote Flammen züngeln sehen. Das Haus brannte.
    »Josef Herz? Seid Ihr da?«, rief der Weiße Knecht, doch er ahnte, dass er keine Antwort mehr erhalten würde.
    Mit einem Satz war er vom Pferd, das vor der Hitze und dem Feuer zu scheuen begann. Er band das Tier fest und rannte auf die kleine Kate zu.
    Mein Gott, wäre er doch nur einen Moment eher losgeritten! Wenn er darauf verzichtet hätte, Helene ein Mittagsmahl zu kochen, das sie eh nicht anrührte, dann wäre er vielleicht noch rechtzeitig gekommen. Dann hätte er diese Katastrophe verhindern können.
    Seine Augen brannten, als er durch die Tür spähte. Noch schien das Feuer nur im Arbeitsraum zu wüten. Von Josef Herz konnte er nichts sehen. Vielleicht war er im Hinterzimmer in Sicherheit? Dann musste er ihm sofort helfen. Der Weiße Knecht wusste, dass ein Feuer nicht nur schreckliche sichtbare Wunden zufügen konnte, es fraß auch die Luft zum Atmen und erstickte die äußerlich unversehrten Opfer. Also legte er sich seinen Hemdsärmel über Nase und Mund und bahnte sich einen Weg durch die Flammen.
    Die Holzwände knirschten und ächzten unter der Hitze. An den Stellen, wo sich die Flammen bereits über das Gebälk hermachten, krachte es in den Fasern, die rauchige Luft flirrte und ließ ihn kaum etwas

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