Die Inselvogtin
Sein echtes Haar war ihm in den letzten Wochen büschelweise ausgefallen, genau wie die Zähne, weshalb seine Sprache nur noch schwer zu verstehen war.
»Das Zeug … bringt mich um … «
Die Schwester tupfte Brenneysen mit einem feuchten Lappen den Schweiß von der Stirn.»Noch einen Schluck, Kanzler!« Der Kranke hatte keine Chance, er musste gehorchen.
»Rudger, sind die Blumen für den Sarg endlich drapiert? Und hat der Stallmeister daran gedacht, die schwarzen Hengste entsprechend zu schmücken? Zudem sollten die Viecher gut gefüttert sein, damit sie nicht unruhig werden. Der Weg zur Gruft ist lang.«
»Ist alles erledigt!« Rudger kam dichter an ihn heran.»Aber da ist noch etwas anderes … «
Weert verließ nur ungern den Platz am Fenster.»Muss das jetzt sein?«, zischte er.»Du siehst doch, gleich wird das Begräbnis beginnen, und der Kanzler braucht meine unmittelbare Unterstützung.«
»Es ist wegen dieser verrückten Maikea Boyunga «, flüsterte Rudger. Nicht schon wieder, dachte Weert. Seit Maikea vor acht Wochen sein Angebot hier in Aurich angenommen hatte, mischte sich in seine anfängliche Genugtuung inzwischen eine zunehmende Gereiztheit. Wenn diese Frau nicht so unglaublich anziehend und ihre Arbeit nicht tatsächlich durchaus wertvoll wäre, hätten ihn die ständigen Forderungen schon längst dazu gebracht, ihr die Tätigkeit am Fürstenhof zu kündigen.
Rudger bezog die aggressive Stimmung seines Herrn jedoch auf sich und senkte den roten Haarschopf.»Entschuldige, Weert, ich weiß, dass du heute den Kopf voller Dinge hast. Aber du hast mir gesagt, ich solle dir auf jeden Fall Bescheid geben, wenn Maikea den Hof verlässt.«
»Und das hat sie vor? Ausgerechnet heute?«
»Sie hat sich eine Kutsche einspannen lassen. Soweit ich weiß, will sie nach Westerbur.«
»Aber das Wetter ist furchtbar!« Weert wusste, dieses Argument war für Maikea nicht der Rede wert.»Gregor soll sie begleiten. Er kann einen Wagen lenken und ihr auch sonst behilflich sein. Mehr als einen Mann kann ich aber an diesem Tag nicht entbehren, richte ihr das aus.«
»Wird gemacht!«
Rudger verschwand eilig durch die Tür, als der Kanzler wieder einen seiner scheußlichen Hustenanfälle bekam – laut und würgend und nach Tod klingend. Der Krankenschwester war anzusehen, dass sie viel lieber ganz woanders wäre, doch sie war ihrem Dienst verpflichtet. Niemand mochte noch in der Nähe dieses Sterbenskranken sein, nur Weert hielt durch.
»Switterts!«, röchelte Brenneysen, und seine schlappe Hand machte eine kaum wahrnehmbare Bewegung.
»Was ist, Kanzler? Soll ich es Euch bequemer machen? Bis der Sarg ankommt, dauert es noch eine kleine Weile, vielleicht wollt Ihr lieber liegen?«
Brenneysen nahm kurz das Tuch vom Mund, das er sich beim Husten vor die Lippen hielt, und sagte:»Kommt her.«
Weert wurde übel, als er das Blut im Stoff sah, aber er trat näher heran.
»Diese Medizin … «
»Was ist damit, Kanzler?« Weert beschied der Krankenschwester, ihm das Mittel zu reichen. Doch als diese ihm das Döschen übergeben wollte, holte Brenneysen plötzlich aus. Viel Kraft war nicht in der Bewegung, doch er schlug ihr den Behälter aus der Hand. Das Döschen landete auf dem Boden, sprang auf, und der gesamte Inhalt rieselte zwischen den Dielen hindurch.
»Verdammt, du dumme Gans!«, beschimpfte Weert die Schwester, die sich augenblicklich zwischen ihren Schultern duckte.»Du hast soeben durch deine Unaufmerksamkeit die letzte Medizin für den Kanzler verschüttet. Wir müssen neue Arznei ordern. Schick einen Boten zum Apotheker, und zwar sofort!«
Sie schluchzte kurz und kuschte sich dann aus dem Zimmer.
Der Kanzler hielt sich den Bauch. Er schien starke Schmerzen zu haben, entsetzliche Schmerzen, aber seine Atemlosigkeit machte es ihm unmöglich zu schreien.
War es endlich so weit?
Weert ignorierte den flehentlich ausgestreckten Arm des Mannes, stattdessen stellte er sich wieder ans Fenster und schaute auf den Hof hinab. Die Kapelle begann gerade zu spielen. Traurige, langsame Choralklänge schallten herauf.
»Schau dir das an, Brenneysen. Sie schieben den Sarg heran.«
Von der aufwendig verzierten Holzkiste, in die man die sterblichen Überreste des Fürsten gebettet hatte, war so gut wie nichts zu erkennen, denn das Blütenmeer ringsherum deckte den Sarg beinahe vollständig zu. Die Kutsche, gezogen von vier Friesenhengsten mit edel geflochtenen Mähnen und seidig schwarzem Fell, näherte sich
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