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Die Inselvogtin

Die Inselvogtin

Titel: Die Inselvogtin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sandra Lüpkes
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Gregor machte ein entsetztes Gesicht.
    Maikea verstand den Mann nicht. Ihr Begleiter war ein kleiner, etwas plumper Kerl, den man ihr heute an diesem Tag zur Seite gestellt hatte. Vielleicht sollte er sie bei der Arbeit unterstützen, wie Weert Switterts es behauptet hatte. Maikea glaubte eher, dass er als ihr Bewacher fungierte. Aber es war ihr egal. Gregor erwies sich weder als große Hilfe noch als Bedrohung. Daher hatte sie beschlossen, ihn einfach neben sich zu billigen. Immerhin konnte er die Kutsche lenken, mit der sie aus Aurich angereist waren.
    »Ich meine, Ihr seht so aus, als wolltet Ihr ins Wasser gehen.«
    »Genau das habe ich auch vor!«, rief Maikea, doch dann wurde sie seines Schreckens gewahr und begriff.»Keine Sorge, ich kann hervorragend schwimmen. Und ich will auch nur ein paar Meter ins Meer, bis zu der Stelle, an der die Wogen sich brechen. Es interessiert mich, wie tief dort das Wasser ist und wie hoch darüber der Wellenkamm liegt.«
    »Aber Ihr werdet nass werden!«
    »Das bin ich schon!«
    Es regnete bereits den ganzen Tag. Seit sie aus der Kutsche gestiegen waren, hatten sich die Tropfen in den Stoff ihrer Kleidung gesogen. Maikea störte es nicht, im Gegenteil, sie begrüßte den kleinen Sturm, die Böen aus Nordwest, die Brandung aus derselben Richtung. Dies war genau das Wetter, das sie sich für ihre ersten Messungen gewünscht hatte. Und es brachte sie endlich wieder dem Leben nah.
    Gregor war nicht wetterfest, seine Kiefer klapperten aufeinander, sobald ein Windstoß seine feuchte Kleidung streifte. Er beobachtete Maikea weiterhin besorgt und trat unruhig von einem Bein auf das andere.
    »Der Ratsherr hat mich gebeten, auf Euch achtzugeben. Würdet Ihr mir also den Gefallen tun, diese gefährliche Wanderung zu unterlassen?«
    »Es ehrt Euch, dass Ihr Euch um mich sorgt und die Befehle Eures Herrn befolgt. Aber Ihr wisst schon, wer ich bin?«
    Der Mann blickte zu Boden, wahrscheinlich, weil ihm der Anblick ihrer nackten Beine zu schaffen machte. Die Männer hier auf dem Festland waren wirklich seltsame Gestalten, dachte Maikea.
    »Ihr seid Maikea Boyunga, fürstliche Insel- und Küstenvermesserin … «
    »Und was ist meine Aufgabe?«
    »Ihr sollt Pläne zur Sturmflutsicherung erstellen.«
    »So ist es. Und genau das mache ich in diesem Moment. Ihr wollt mich doch nicht etwa von der Arbeit abhalten?«
    Mit diesen Worten zog sie das Senklot hervor, entwirrte das Band und machte am Ende eine Schlaufe, die sie sich ums Handgelenk legte.
    »Pläne erstellt man aber, soweit ich weiß, an einem Schreibtisch auf einem Blatt Papier «, traute sich Gregor zu widersprechen. Er nieste heftig.
    »Finanzpläne vielleicht. Oder Pläne, um ein Staatsbegräbnis wie das heutige zu organisieren. Wenn es aber darum geht, Wind und Wellen zu bekämpfen, dann muss man diese Elemente leibhaftig kennenlernen. Wisst Ihr nicht, dass der Kanzler, wenn er einen Krieg plant, auch alle möglichen Erkundigungen über den Feind einholt?«
    Darauf wusste ihr Begleiter keine Antwort. Maikea nutzte das verdutzte Schweigen und nahm ihre erste Messung vor. In die gerade Holzlatte, die sie nun in den Meeresboden rammte, hatte sie exakte Markierungen geritzt.
    Damit konnte sie messen, wie hoch die Wellenberge waren und wie tief die dazwischen liegenden Täler. Mit jeder Woge passte sie den höchsten Punkt an, indem sie mit einem Messer eine Kerbe in das Holz schnitzte. Dasselbe machte sie, wenn das Wasser ihre Füße beinahe freilegte.
    Der Unterschied betrug mehr als eine Elle. Kein beeindruckendes Ergebnis, aber Maikea stand auch an einem windabgewandten Flecken, da rollte die Flut stets gemäßigt auf. Zudem lief der Wattboden hier flach ins Meer. Wenn die Zeit es noch zuließ, wollte sie später dieselben Messungen noch einmal weiter westlich vornehmen, dort, wo das Meer mit voller Wucht auf das Festland schlug und auf eine scharfe Abrisskante im Boden traf.
    Bis dahin würde sich jedoch der Gezeitenstrom verändert haben. Jetzt blieb noch eine Stunde bis zum höchsten Wasserstand. Maikea wusste, dass die Messungen nur vergleichbar waren, wenn sie zur selben Flutphase gemacht wurden. Bei Ostwind und Sonnenschein war wieder alles anders. Im Grunde genommen müsste sie jetzt schon an drei Stellen gleichzeitig messen. In ein oder zwei Tagen sollte zudem das Wetter umschlagen, so war ihre Prognose, und dann würde sie noch einmal zum Wattenmeer nach Westerbur reisen. Maikea wünschte fast, sie könnte sich zerteilen, so

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