Die Inselvogtin
bergab. Nur noch selten sprach er Sätze, die aus mehr als drei Worten bestanden. Blass sah er aus, die Lippen bläulich, das Gesicht eingefallen und von hässlichen Wunden entstellt. Seit Tagen konnte er nur noch im Bett liegen, und dass er darauf bestanden hatte, die Feierlichkeiten in einem Sessel sitzend von seinem Schlafzimmerfenster aus zu beobachten, war für seinen Arzt Anlass zu größter Besorgnis. Weert hatte sich dazu bereit erklärt, Brenneysen zu beaufsichtigen, damit ihm im Falle akuter Atemnot jemand zur Seite stand. Ganz so, wie es der Leibarzt verordnet hatte.
Gemeinsam mit einer verschüchterten Krankenschwester stand er nun im Schlafgemach des Kanzlers, in dem die Luft stickig war und unerträglich verdorben roch. Man rechnete ihm hoch an, dass er Brenneysen in diesen schweren Stunden eine solche Hilfe war.
»Ist … alles vorbereitet?«
»Keine Sorge, Kanzler, es läuft nach Plan. Das Gepäck 238
ist bereits in der Nacht eingetroffen. Die Herrschaften haben aber wohl in Oldenburg genächtigt, deswegen kommen sie erst jetzt.«
Er schaute auf die Kirchenuhr.»Es bleiben noch zwei Stunden bis zum Gottesdienst. Zeit genug, Brenneysen.«
Weert betrachtete den kranken Mann von der Seite. Kaum vorstellbar, dass aus dem mächtigen und gefürchteten Kanzler ein solches Häufchen Elend geworden war.
»In einer halben Stunde wird der Sarg aus dem Schloss überführt. Ihr könnt Euch auf mich verlassen, das wisst Ihr doch.«
Auch wenn er in Wahrheit am Ende seiner Kräfte war, brachte Weert es fertig, eine gelassene Haltung zu bewahren. Seit gestern hatte er kein Auge zugetan, in den Nächten zuvor war es nicht viel anders gewesen. Schlafen würde er wahrscheinlich erst wieder, wenn alles vorüber war.
Schon seit Sonnenaufgang regnete es, und ein unangenehmer Septembersturm ließ befürchten, dass Fürst Georg Albrecht von Ostfriesland, drei Monate nach seinem Tod, an einem nasskalten Tag zu Grabe getragen wurde. Das erschwerte so einiges.
Weert Switterts wusste, dieser Tag war entscheidend für den Rest seines Lebens. Denn seitdem Brenneysen ans Bett gefesselt war und der Hofmarschall ständig jammerte, der Kanzler könne kaum noch eine Mahlzeit bei sich behalten, lag die Organisation des Begräbnisses allein in seinen Händen. Kein Arzt konnte sich erklären, warum alle Heilkunst beim Kanzler kaum Linderung brachte. Schließlich einigte man sich darauf, dass wohl Brenneysens Fürstentreue der eigentliche Grund für sein nahendes Ende war.»Er hat seinen Herrn Georg Albrecht so sehr verehrt, dass dessen Tod ihm nun die rechte Lebenskraft geraubt hat «, hatte sein Leibarzt verkündet. Und es war nur eine Frage der Zeit, bis man Weert Switterts vollends zum Nachfolger erklärte.
Deshalb kam es darauf an, dass er seine Sache heute richtig machte.
»Ich bringe die neue Medizin für den Kanzler.« Rudger war ins Zimmer getreten, und Weert nahm ihm das Döschen aus der Hand.
»Nicht schon wieder … «, japste der Kanzler, als Weert ihm drei Messerspitzen von dem Pulver in einem Glas mit Wasser auflöste. Die Krankenschwester rührte mit einem Löffel alles um, sodass die Substanz schneller zerfiel. Dann hielt sie den Kopf des Kranken.
»Der Arzt hat gesagt, wir sollen die Dosis weiter erhöhen. Dann ist die Wirkung besser.« Weert flößte dem Kranken die Medizin ein. Das Schlucken fiel Brenneysen sichtlich schwer, er würgte, und Weert machte eine kleine Pause. Er musste aufpassen, dass nichts von dieser Arznei verschüttet oder erbrochen wurde. Schließlich hatte er sich vom Apotheker alles erklären lassen und war verantwortlich für die Medikamentierung des Patienten. Der Arzt und die Bediensteten bestätigten seinen aufopferungsvollen Einsatz. Nur Weerts langjähriger Vertrauter Rudger wusste, um was es hier eigentlich ging. Ihm konnte Weert blind vertrauen. Und er war es auch, der seit Wochen schon die neu verordneten Mittel gegen das alte Pulver austauschte. Es war so einfach, dass selbst ein Dummkopf wie Rudger dazu in der Lage war. Aber Weert bezahlte ihn für seine Dienste gut, sorgte für seine Unterkunft und sein Essen sowie die regelmäßigen Besuche bei Trientje.
Brenneysen versuchte, den Kopf zu schütteln, was sich als unmöglich erwies, denn das Kunsthaar auf seinem Kopf war zu schwer. Er hatte heute Morgen darauf bestanden, die Perücke zu tragen, denn er wollte keine lächerliche Erscheinung abgeben, auch wenn er das Begräbnis des Fürsten nur aus der Entfernung verfolgte.
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