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Die Inselvogtin

Die Inselvogtin

Titel: Die Inselvogtin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sandra Lüpkes
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langsam der Kirche. Dahinter folgten, in einer überdachten Kutsche, die Witwe, der neue Fürst und dessen strenge Gattin Wilhelmine Sophie. Die Gesichter der Familie konnte Weert nicht erkennen, aber er war sicher, dass ihre Mienen versteinert waren. Der Verstorbene war ein ungeliebter Mann gewesen. Angst und Sorge erfüllte die fürstliche Verwandtschaft, denn niemand konnte sich vorstellen, wie es in diesem Land weitergehen sollte.
    »Heb den Kopf hoch, Alter!«, herrschte Weert den Kanzler an. Jetzt waren sie allein im Zimmer, und Brenneysen sollte keine Gelegenheit mehr haben, jemals davon zu berichten, was in diesem Moment gesagt und getan wurde.»Da ist der Fürst. Seit drei Monaten ist er schon tot. Die ganze Einbalsamiererei hat nichts genützt. Er hat fürchterlich gestunken, der feine Leichnam. Und das wirst du auch bald.«
    Der Kranke begann zu zittern. Schweißperlen erschienen auf seiner Stirn.
    »Was ist … los?«
    »Der alte Fürst war ein Versager. Jeder hier in Ostfriesland weiß, dass Ihr als Kanzler in Wahrheit all die Jahre an der Macht gewesen seid. Was immer Ihr gesagt habt, war Georg Albrecht nur recht. Die Schlacht in der Pfefferstraße, die vielen Toten und Gefangenen … « Mit einem Mal musste Weert lachen. Es bereitete ihm Freude, im Angesicht des fürstlichen Totenfestes solche Dinge zu sagen.»Nicht, dass es schade um die Rebellen wäre! Nein! Aber Ihr habt es trotz allem nicht geschafft, diesen Bürgerkrieg zu beenden. Ihr seid genauso ein Versager wie der tote Fürst!«
    Sechs schwarzgekleidete Männer räumten jetzt die Blumengestecke vom Wagen. Der Regen perlte von ihren Perücken ab.
    »Doch damit soll es nun zu Ende sein, Brenneysen. Es wird Zeit, dass Ostfriesland von fähigen Händen geleitet wird.«
    »Carl Edzard?«, stieß der Kanzler mühselig hervor.
    Weert lachte laut auf.»Er ist noch schlimmer als sein Vater. Nein, dieses Land braucht einen neuen Kanzler. Und zwar so bald wie möglich.«
    Die schwarzen Begleiter hoben links und rechts den schweren, mit Metallbeschlägen verzierten Sarg an und trugen ihn von der Kutsche. Einer der Männer rutschte aus und fiel in den nassen Schlamm. Es war eine erbärmliche Vorstellung.
    »Wer denn?«, fragte Brenneysen heiser.»Etwa du?«
    »Warum nicht?« Jetzt wandte Weert sich dem Sterbenden zu.
    O Gott, wie elend er dort in seinem Sessel kauerte. Vielleicht würde es auch von allein gehen, dachte Weert, eine chronische Arsenikvergiftung dauerte ihre Zeit. Andererseits war dies die Gelegenheit, dem Ganzen ein schnelles Ende zu setzen.
    »Niemals!«, keuchte Brenneysen und hielt seinen Mund geöffnet, als wolle er noch weitersprechen.
    Weert entzog ihm das blutige Taschentuch.»O doch. Und zwar schon heute!«
    Und während die schwarzen Männer den Sarg des ostfriesischen Fürsten bis zum Altar der Lambertikirche trugen, drückte Weert den Fetzen auf das Gesicht des Hilflosen. Er schaute dabei aus dem Fenster und sah, wie die Fürstenfamilie soeben der Kutsche entstieg. Wilhelmine Sophie musste sich die Perücke festhalten, so stark ging der Wind. Die Stiefel des Thronfolgers versanken im aufgeweichten Boden. Die Bäume wankten im Sturm.
    Als nach Sophie Caroline auch alle anderen endlich in der Kirche verschwunden waren, kam die Krankenschwester mit Besen und Eimer zurück in das Gemach des Kanzlers.
    »Warum bist du nur so lange fortgeblieben?«, fauchte Weert sie an.
    »Ich … aber Ihr habt doch gesagt … O Gott, was ist denn geschehen?«
    »Kanzler Brenneysen hatte einen schrecklichen Hustenanfall. Seine Schmerzen müssen unerträglich gewesen sein. Ich konnte nichts mehr für ihn tun … « Weert hörte seiner eigenen Stimme die Verzweiflung an. Sie klang echt.»Als er den Sarg seines Herrn erblickt hat, verließ ihn das letzte bisschen Lebenskraft.«
    »Er ist tot?«, fragte die Krankenschwester entsetzt. Doch als sie an den Sessel trat und das faltenlose Gesicht, den herunterhängenden Kiefer und die blicklosen Augen sah, wusste sie die Antwort selbst.

11
    D as salzige Wasser fraß sich gierig in die Fasern ihres Kleides und machte es schwer. Kalt umspülten die Wellen Maikeas Knöchel. Dennoch marschierte sie unbeirrt weiter, raffte die Röcke, so hoch es ging, und stieg über ein angeschwemmtes Stück Holz hinweg. Dahinter reichte ihr die Nässe bis knapp unter das Knie. Es tat so gut, endlich wieder barfuß im Meer zu stehen! Am liebsten hätte sie laut aufgelacht.
    »Ihr wollt Euch doch nicht etwa ein Leid antun?«

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