Die Inszenierung (German Edition)
dass kein Mensch merkt, dass ich kein Regisseur bin. Ich liebe Stücke. Ich liebe Tschechow.
Er lacht los, wie er bei Gerda gelacht hat.
Hab ich bei Anton dem Großen gelernt.
Was?
Dieses Lachen.
Das könnte ich nicht.
Was?
In einer solchen Situation so lachen.
Du kannst ganz was anderes.
Sag mir, bitte, was ich kann.
Du kannst mir den augenblicklichen Zustand der Inszenierung so darstellen, dass ich ergriffen werde und dann weitermachen kann, als hätte ich alles selber erlebt. Das heißt, du wirst allen Personen, über die du berichtest, gerecht, Lydia. Und dann noch, wie du die Szene herbeiholst. Wie du diesen Szenenschluss entstehen lässt, dass es überhaupt kein Problem mehr gibt, wie er gespielt werden muss … diese sanften, engelhaften Züge … Meine Liebste … Langer Kuss.
Ich gestehe, ich habe darauf gewartet, dass wir den Szenenschluss probieren. Und enden mit dem langen Kuss.
Es kommt tatsächlich zu einer Zärtlichkeit. Aber nicht zu einem Kuss. Wie sie jetzt ihren Kopf an seine Brust gelegt hat, das ist mehr als jeder Kuss.
Und wenn ich ein Regisseur bin, bist du eine Regisseurin, Lydia. Du weißt, das zu beurteilen schlägt in mein Fach.
Jetzt küsst sie schnell hinauf zu ihm.
Lydi, nicht aus der Rolle fallen.
Sie löst sich von ihm.
Ich fürchte, Stallhofer wird weiter Terror machen, bis er sie so weit hat, dass sie aufgibt. Er hat Alkoholprobleme, das wird immer deutlicher.
Endlich! Ich will nicht sagen, darauf habe ich gewartet. Du kennst meinen Satz: Am Abend bringt Kurtchen immer alles. Kurtchen war Alkoholiker! Ein Genie der Glaubhaftigkeit. Du wirst sehen, Stallhofer wächst über sich hinaus. Wenn der Alkohol ihn schwächt.
Bei Stallhofer hat der Alkohol keine Chance.
Weißt du, was Kurtchen immer sagte, wenn die Schauspieler anfingen, Bekenntnisse abzuliefern? Möglichst wenig schädlich sein. Das sei seine einzige Devise beim Spiel: Möglichst wenig schädlich sein!
Sag das einmal Stallhofer.
Und ob ich ihm das sage. Und bald. Ich bin geheilt. Leider. Muss ich sagen. Ab Montag steh ich wieder auf der Bühne. Das kannst du morgen verkünden. Oder besser, sag es noch nicht. Arbeite ruhig weiter wie bisher.
Stallhofer wird jetzt bei jeder Nina-Stelle beweisen wollen, dass er Corinna das Feuerzeug mit Recht ins Gesicht geworfen hat.
Also: Mach Corinna stark! Übrigens noch eine Stallhofer-Stelle. Sein großer Bekenntnismonolog im 2. Akt. Wo er Ninas heißer Bewunderung das Realporträt eines Berühmten entgegenhält und schließt: Eigentlich bin ich doch nur ein Landschaftsschilderer, alles andere ist verlogen, verlogen bis ins Mark. Lydia, dafür das endgültige Arrangement. Glaubhaft wird das nur, wenn er sich für diesen Schluss von Nina wegdreht, sie überhaupt verlässt und nach vorne an die Rampe geht und das Publikum behandelt als eine Versammlung von Leuten, die zugehört haben, wie er das Für und Wider des Berühmtseins geschildert hat, und an die wendet er sich zum Schluss ganz direkt und sagt ihnen den entscheidenden Satz: Eigentlich bin ich doch nur ein Landschaftsschilderer, alles andere ist verlogen … da grinst er, sodass jeder sieht und hört, so was kann man gar nicht ernst meinen, wenn ich so weit gehe und gestehe: Verlogen bis ins Mark, dann muss ich doch selber grinsen, also darauf hinweisen, wie eitel es ist, so etwas zu gestehen. Verstehst du: Da darf kein Hauch Überredungswille mehr sein, kein bisschen Lust, noch jemanden von etwas oder von sich zu überzeugen. Von mir aus kann er sprechen, wie ein Nachrichtensprecher sprechen konnte, als das Fernsehen noch nicht aus Nachrichtensprechern schlechte Schauspieler machte. Nur eine Nachricht, sonst nichts.
Ob Stallhofer das mitmacht? Er wird sagen: Wenn er das so sagt, dann reagiert Nina mit Recht unüberzeugt.
Verlang’s. Zur Rampe. Grinsen oder Ansageton. Was ihm lieber ist. Mir wäre Grinsen lieber. Übrigens, Lydia, ich werde heimgesucht von Vorstellungen, von schrecklichen Vorstellungen. Dass jede Figur im Stück den liebt, der einen oder eine andere liebt, ist uns klar geworden. Und das Abgewiesenwerden nützt gar nichts. Jede Figur setzt, wenn sie wieder dran ist, den Unglückstext vom letzten Auftritt einfach fort. Das heißt: Es ist immer schon alles entschieden. Die Personen kommen nur noch auf die Bühne, um davon zu erzählen. Das könnten wir erlebbar machen, wenn wir alle Szenen zwar jedes Mal realistisch als Dialogszenen beginnen ließen, aber dann lösen sich die Figuren,
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