Die Inszenierung (German Edition)
Philosophie Platons machen werde. Ich habe versprochen: Es wird von hier eine Kraft ausgehen, die um den ganzen Globus herum zu spüren sein wird als Anziehungskraft! Gestern, als ich bei Smiley’s ausstieg, blieb eine blond lodernde Studentin stehen und sagte: You don’t happen to be Professor Port? Und weil hier auch die flüchtigste Konversationsfrage nicht mit einem Ja oder Nein beantwortet werden darf, weil auch die flüchtigste Frage ein Sprungbrett ist, um durch die Antwort zu zeigen, wie sehr einen die Frage hochbringt, hätte ich sagen können: I candidly admit. Aber weil mir das zu wenig war, sagte ich: If you don’t mind. Ob das das sagte, was ich meinte? Eigentlich hätte ich sagen sollen: Bin ich nicht, aber ich heiße so. Es ist nicht das Englisch, was mir Schwierigkeiten bereitet. Überhaupt das Sprechen. Das Noch-Sprechen. Ich habe das Gefühl, jede Sprache sei eine Fremdsprache. Und Schweigen? Das ist das Paradies, aus dem wir vertrieben sind.
Es passt, dass mich Platon gerettet hat. Bekannt genug ist das Washington College, das hier den Hügel krönt. Von Washington selbst gegründet. Und zum Rechte-Doktor hat er sich dort auch gleich machen lassen. Und von Washington nach Philadelphia sei er immer über Chestertown gefahren. Jetzt aber Jonathan Smith, Kind einer reichen Baltimore-Familie, aber ein Tunichtgut. Also verbannt nach Chestertown. Ihm gehört hier alles. Die Schwarzen in den Slum-Häuschen zahlen die Miete an ihn. Er besitzt so viel Land, heißt es, dass er auf eigenem Grund ins nächste County reiten kann. Im Süden gehören ihm auf 200 acres 3000 holly trees. Stechpalmen, deren rote Früchte jetzt zu jeder Weihnachtsdekoration verkauft werden. Und Crop sharing hat er organisiert. Und verheiratet ist er mit einer Chicano. Und 84 ist er. Und hat einmal bei den Jesuiten studiert. In Poona. Wo das wohl ist?
Geblieben aber ist die Platon-Verehrung! Darum hat er das College gegründet. Forschungsschwerpunkt: Platon. Er interessiert sich nur noch für Plato, heißt es. Er will in seinem Schloss am Fluss nichts mehr sehen, nichts mehr hören, nichts mehr lesen, was nicht mit Platon zu tun hat. Alles, was in der Welt über Platon erscheint, ist hier versammelt. Also ich auch. Meine Habilitation Platon. Die Philosophie der direkten Rede ist hier, ins Englische übersetzt. Und mein Retter in München war hier schon Gastprofessor und hat mich, als die Not deutlich genug wurde, hierher empfohlen als einen outstanding Platon-Experten. Wahr ist, dass ich, je älter ich werde, umso deutlicher erlebe, wie sehr ich auf Platon angewiesen bin.
Lieber Augustus, Du hast meine Habil-Schrift nicht lesen können, klar, obwohl Dir der Titel hätte etwas sagen müssen. Direkte Rede! Platon hat als Erster Schluss gemacht mit dem Darüberschreiben. Direkte Rede! Rede und Widerrede! Spruch und Widerspruch! Anstatt die Tonart des jeden Widerspruch erstickenden monologisch-monomanen Behauptens fortzusetzen.
Platon, das ist die Vielstimmigkeit selbst. Erst er hat den Dialog ins Denken gebracht, Augustus! Die direkte Rede! Und ich habe zum Glück gerade noch bei dem großen Karl Barth gelesen, er habe nie ÜBER Paulus geschrieben, sondern immer MIT ihm. Das möchte ich auch. Nicht über Platon schreiben, sondern MIT ihm! Ich habe angekündigt für mein erstes Semester: Platons Leidenschaft für die Verwirklichung. Im Licht unserer Geschichte.
Ich lasse Nietzsche formulieren: «Plato war der fleischgewordene Wunsch, der höchste philosophische Gesetzgeber und Staatengründer zu werden; er scheint schrecklich an der Nichterfüllung seines Wesens gelitten zu haben, und seine Seele wurde gegen sein Ende hin voll der schwärzesten Galle.» Dreimal reiste er, um das Seine wirklich werden zu lassen, nach Sizilien. Unser Heidegger fuhr einmal nach Berlin! Auch ich habe, je mehr mich die Wirklichkeit stranguliert, dieses Bedürfnis, praktisch zu werden!
Auf jeden Fall, lieber Augustus, die Philosophie der direkten Rede! Ich will auch mit mir selbst nur noch im Dialog verkehren. Ich will den Freiheitsjubel hier spürbar machen, der im platonischen Dialog entsteht durch Rede und Gegenrede.
Ich sollte glücklich sein, dass mein Doppelleben zertrümmert ist. Das passt zu meinem beruflichen Schicksal in einem Vaterland, in dem die Philosophie eine Kunst der Inhaltslosigkeit geworden ist. Inhaltslos, aber mit Tendenz. Dafür überhäufen sie einander mit Ehren und Preisen. Je komplizierter sich die tendenzgetränkte
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