Die Inszenierung (German Edition)
Als müsse er prüfen, was es heißt, wie es gesprochen werden muss.
Nachtschwester.
Er ruft jetzt:
Gerda!
Er ruft, obwohl Gerda längst nicht mehr da ist.
Gerda! Verloren!
Er redet jetzt auf die Tür ein, als wäre sie eine Person, als wäre die Tür Gerda. Er redet, als könne er noch gehört werden.
Um nur die drei Letzten zu nennen! Affären. Immunschwäche der Seele. Was für ein Wörterjahrmarkt! Was für ein Lärm! Das Wirkliche erstickt durch Benennung. Schau, Carla! Ist doch egal, wie wir an einander gerieten. Carla im belächelten Job der Praktikantin. Aber was leistet sie? Sie schmuggelt für eine hochnoble Firma Zeug, das es in der Schweiz noch nicht gibt, über die Grenze. Und das kann sie nur, weil sie eng mit zwei Hunden lebt. Englische, zierliche Wesen. Die sitzen als Beifahrer in ihrem alten VW neben ihr. Die Zöllner sind oder tun jedes Mal verzückt, Carla wird nicht kontrolliert, verdient mit jeder Fahrt fünfhundert. Und ich mache das Gewissensstück Antigone. Carla bezahlt mit Gallenkoliken. Sie hat jedes Mal Angst. Ich war angeblich der Einzige, dem sie es sagen konnte. Affäre! Klar! Immunschwäche der Seele! Die Leidenden sind die wahre Internationale. Und wenn die Ehefrauen dazugehören, dann doch mit dem Unterschied: Sie werden gehegt und verpflegt von der Moral-Industrie. Sie haben das gute Gewissen. Sie sind die besseren Menschen. Sie sind die Opfer. Sagt dir dein Mann. Der Täter. Der mit den Affären. Der es dir übelnähme, wenn er deinetwegen lügen müsste. Empfindungslos. Wenn ich dem Unglück begegne, das ich anrichte. Ich bitte um Empfindungslosigkeit. Ver-loren.
Er legt sich aufs Bett. Hebt seine Arme hoch, dass sich seine Hände finden. So bleibt er liegen.
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4
Augustus holt aus dem Schrank die eierschalenfarbene Jacke mit dem dunkelgrünen Kragen, die er immer als Regisseur trägt. Dazu den schwarzen Hut, der ihm wie ein Schiff auf dem Kopf sitzt. Ein Schiff mit einem zu großen Bug. Prüft alles. Dann setzt er sich an seinen Tisch, auf dem Papiere liegen, die er jetzt ordnet. Auch dass er auf die Uhr schaut, zeigt, dass er wartet.
Als es klopft, setzt er sofort die Klinikbrille auf und ruft:
Herein.
Herein kommt Lydia. Augustus steht langsam auf, geht ihr langsam entgegen, empfängt sie zärtlich, aber es ist eine eher feierliche Zärtlichkeit. Keine Spur von Temperament.
Als sie sich von einander gelöst haben, betrachtet er sie.
Deine Jeans werden immer besser.
Besser?
Enger! Wo soll man denn da noch hinschauen!
An den Hals.
Sie zeigt auf ihr Kettchen.
Ach, Lydia, wenn ich mich gesünder fühlte, als ich mich fühle, würde ich dir gern Komplimente machen.
Geschenkt, Augustus! Einerseits muss es mich freuen, dich außerhalb des Betts zu sehen, andererseits seh ich dich zu gern im Bett.
Schluss jetzt mit der Süßholzhoblerei. Sag, was Sache ist.
Da kommt zuerst eine Sache, die keine ist und trotzdem eine zu werden droht! Stallhofer …
Natürlich!
Stallhofer wirft Corinna sein Feuerzeug ins Gesicht. In der Kantine. Sie wirft es zurück. Jetzt steht er auf, greift nach ihr, kriegt sie nicht, schlägt aber zu, ihr ins Gesicht, sie schlägt zurück, sie will weg, er tritt ihr in den Weg, mit Polizeigriff biegt er sie unter den Tisch, jetzt heult sie auf, da erst greift unser Dramaturg ein, der schwächliche Hugo, Stallhofer schleudert ihn weg, jetzt wollen alle eingreifen. Auch die da herumsitzenden Techniker. Alle haben das für einen Spaß gehalten. Schauspieler-Spaß, um sich in der Pause ein bisschen abzureagieren. Der Kantinenwirt kommt. Stallhofer wird verwarnt. Kriegt vorerst in der Kantine keinen Alkohol mehr. Und Stallhofer stiert auf die Tischplatte und zischt seinen anderen Spruch durch die Zähne. Hier sind alle viel zu nett zu einander. Davor waren wir im 3. Akt, letzte Szene. Nina hat Trigorin gerade ihre bedingungslose Liebe gestanden, Trigorin ist endlich bewegt, gerührt, überwältigt. Seine Arkadina kann das nicht ertragen. Also Betrug. Er und Nina werden sich in Moskau treffen, im Slawischen Basar. Und jetzt sein Text: Diese herrlichen Augen, dieses unbeschreiblich zärtliche Lächeln … diese sanften, engelhaften Züge … Meine Liebste … Dann steht im Text: Langer Kuss. Vorhang. Stallhofer hat Corinna an beiden Oberarmen im Griff und zieht sie während dieses Textes langsam, aber leidenschaftlich zu sich hin, dass dann der Kuss genau zum Textschluss kommt. Natürlich bringt er den Text so leise, so innig
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