Die Inszenierung (German Edition)
wie möglich. Du kennst die Stallhofer-Devise: Die Dosis macht das Gift.
Seine Paracelsus-Nummer!
Als wir so weit sind, ist er total unzufrieden mit sich. So geht es nicht! Wenn Corinna nicht mehr einsteigt, kann er doch gar nicht reagieren! Einsteigen, Mädchen! Schreit er sie an. Nicht immer an die nächste Modenschau denken! Nina liefert sich aus. Total. Ihr letzter Satz: Ich fahre nach Moskau. Wie Sie. Dort werden wir uns wiedersehen. Sie liefert sich aus!! Aber was du sagst, ist eine Ansage: Der Zug nach Moskau hat eine Stunde Verspätung! Jetzt greife ich ein. Erkläre den beiden: Sie treffen sich im Slawischen Basar. In Tschechows schönster Erzählung, Die Dame mit dem Hündchen, trifft sich das Paar, beide verheiratet, auch im Slawischen Basar. Das muss also in der besseren Gesellschaft das Quartier für Ehebruch gewesen sein. Dass Trigorin das vorschlägt, heißt für Nina schon einmal: Er macht jetzt mit. Das hat sie erreicht. Also muss er sie nicht mehr packen und an sich ziehen, er kann sie genießen, wie man einen Erfolg genießt. Aber Stallhofer hört mir gar nicht mehr zu. Er schreit: Die Dosis macht das Gift, ich brauch eine Pause. Also in die Kantine. Und da wirft er ihr das Feuerzeug ins Gesicht. Dann die furchtbare Szene.
Und dann?
Es ging nichts mehr. Ich sagte an, dass wir morgen gleich mit dem 4. Akt beginnen. So, als sei das Problem des 3. Aktes gelöst.
Ist es doch, Lydia. Nichts ist so problemlos, so zwingend wie dieser Aktschluss. Trigorin, ewig damit beschäftigt, schweres Schicksal in kleine Notizen zu verwandeln, ist erledigt. In dieser Szene hat ihn endlich Ninas Liebe erreicht, überwältigt, er ist hin. Aber er ist nicht frei. Also muss er seiner Lebensgefährtin, Arkadina, gestehen, dass er Nina liebt, und muss sie bitten: Gib mich frei. Er gesteht: Was er jetzt erlebt, hat er noch nie erlebt. Aber Arkadina fällt auf die Knie und so weiter, die ganze Gestik der besitzergreifenden, machtausübenden Verzweiflung. Und als alles nichts bringt, die Wunderwaffe: Sie ist die Einzige. Ich allein sage dir die Wahrheit. Du gehörst mir. So von ihr aufgebaut, erlebt Trigorin, dass er ein Schwächling ist, ein Waschlappen. Er wird also mit der Arkadina abfahren. Und da, ihr Triumph: Sie fährt allein voraus, er kann ruhig noch eine Woche bleiben. Jetzt seine totale Unterwerfung: Nein, fahren wir zusammen. Arkadina verlässt die Szene als Siegerin, Auftritt Nina. Und jetzt die Verabredung: Nehmen Sie sich ein Zimmer im Slawischen Basar. Das einzige Mal im ganzen Stück, dass eine Liebe sozusagen glückt. Von beiden. Und da bleibt nur der Betrug. Das Normalste des Normalen: der Betrug. Jetzt also lehnt sie sich an seine Brust, jetzt sagt er: Diese herrlichen Augen, dieses zierliche Lächeln … Das ist doch ein Text wie aus einem anderen Stück. Der Schwächling, der Waschlappen, sagt den Text so, dass das jeder hört: ein Möchtegern-Text. So leidenschaftlich wie eine alte Schallplatte. Da soll Stallhofer wagen, sie leidenschaftlich an sich zu ziehen! Und das Feuerzeug ins Gesicht, glaub mir, da reagiert er nur darauf, dass Corinna zur ersten Leseprobe etwas anhatte aus leichter weißer Baumwolle, unter der die dunklen Brustwarzen durchschimmerten wie eine unheimliche Drohung.
Männerphantasien!
Sonst noch was?
Corinna ist jetzt … Sie kommt heute Abend zu mir. Tatsächlich war sie heute nicht gut drauf. Ich habe mit ihr nachher noch gesprochen. Sie hat es selber auch gemerkt. Sie hat eine furchtbare Nacht hinter sich. Bärbel Scher, ihre Kollegin und Freundin, hat sich mit einem Rasiermesser das Gesicht zerschnitten. Ihr Freund hat sie verlassen. Kommentarlos. Dann hat Corinna Bärbels Mutter angerufen. Dann haben Bärbel und ihre Mutter den Rest der Nacht bei Corinna verbracht. Und Corinna musste heute im Theater sagen: Bärbel habe einen Autounfall gehabt. Und um zehn dann zur Probe. Und dann Stallhofer, der ihre Schwäche merkt und glaubt, er muss jetzt Stärke zeigen. Sowieso tönt er, sobald es ein Problem gibt: Hier sind alle viel zu nett zu einander. Das kann ja nicht gut gehen! Das ist meine Schuld, dass alle so nett sind zu einander. Augustus, der Schuft hat meinen schwächsten Punkt entdeckt und haut jetzt voll drauf. Vielleicht muss ich auch aussteigen. Kapitulieren. Ich bin einfach kein Regisseur!
Kein Mensch ist ein Regisseur! Den Regisseur muss man spielen. Wie eine andere Rolle auch. Glaubst du, ich sei ein Regisseur? Ich bin der, der am meisten darauf angewiesen ist,
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