Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Inszenierung (German Edition)

Die Inszenierung (German Edition)

Titel: Die Inszenierung (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Walser
Vom Netzwerk:
am empfindlichsten. Herz und Kopf sind beschwerdefrei bzw. werden nur durch die Magenkrämpfe gelegentlich irritiert. Der Magen ist wirklich sehr empfindlich beim Verbrecher. Der Verbrecher dürfte eigentlich gar keinen Magen haben. Die Schleimhaut wahrscheinlich. Ewig ist sie entzündet. Immer dieser Druck. Dieses aufreibende Reiben. Und dann dieses Brennen den Schlund herauf.
Erinnerst du dich noch, dass ich manchmal gesagt habe, das Leben sei ein Western? Und wie das belächelt wurde. Und genau von denen, die das Westernprinzip betreiben. Ich habe auf jeden Fall die größtmögliche Verlassenheit erlebt. Auf den alles rettenden Schuss warte ich heute noch.
Bleiben wir ein wenig in der Sonne. Lachen wir leise nachts. Das Kreischen haben wir erfunden. Seit dem sehnen wir uns nach der Stille. Wir sind eine widerspruchsvolle Art.
Einmal sagte Ursula: Du kannst mich nicht auf hundert bringen und dann liegen lassen, das ist ein Verbrechen. Dieser Satz hat mein Leben verändert. Ich kann sagen, dass ich im Frauendienst bis zur Erschöpfung tätig war. Ich hielt es für das Schlimmste, eine Frau zu enttäuschen. Und träumte in der letzten Nacht, lieber Herzensfreund, von Frauen mit Bärten jeder Art. Und war erfüllt von dem Gefühl, dass das jetzt das Neue, das Schöne ist, Frauen mit Bärten. Und doch noch die Ahnung, dass Frauen mit Bärten im Nachteil sein könnten. Da kamen wohl meine zwei Töchter vor.
Dass Berti jetzt seine von ihm beherrschte Gegend verlässt und zu mir herüberkommt, ist mehr als rührend. Es ist ein Liebesbeweis, den ich von einem Tausendsassa nicht erwartet habe. Wenn Ursula das erfährt – und sie erfährt, wie ich jetzt weiß, immer alles über mich –, dann wird sie sich bestätigt finden. Sie hat sich sicher über Berti erkundigt, und was sie erfahren hat, bestärkt sie darin: Armer Hans Georg, du kannst mir nur noch leidtun! Unsere vierundzwanzig Jahre waren ein Irrtum! Die zwei Töchter hat sie, wie sich jetzt an deren Verachtungspotenz herausstellt, gerade noch an diesem Desaster vorbeierziehen können. Das Klübbche hat sie in unseren Streit-Tiraden nur Schwulen-Treff genannt. Ich ahne, wer zu irgend einer Schwägerin geplaudert hat, dass die dann einem Cousin, der mit einer Freundin Ursulas zusammenarbeitet, anvertrauen musste, es gebe einen Schwulen-Treff usw. Vor allem den Betrug nimmt sie übel. Schach-Club! Und in Wirklichkeit: Schwulen-Treff!
Warum wird der Betrug immer dem Betrüger übelgenommen anstatt dem Umstand, der diesen Betrug erzwungen hat? Nämlich der ganzen Kultur, die Menschen so erzieht, dass sie privat herrschen müssen, wie in der Politik, in der Gesellschaft schon längst niemand mehr herrschen darf: nämlich absolut. Alles, was mit Mono beginnt, beweist das zur Genüge. So rede ich mich heraus.
Ich bin einundfünfzig. Aber ich will es nicht noch einmal wissen. Menschliche Beziehungen sind immer zuerst Ansprüche. Was mich mit Berti verbindet, ist ein Anspruch. Berti ist der einzige Mensch, der mir entspricht. Was mich verletzbar macht, das waren immer meine Ansprüche. Und nur meine Ansprüche machen mich hochmütig. Ich glaube, ich müsse über meine Ansprüche nicht mit mir verhandeln lassen. Die Welt habe gefälligst meine Ansprüche zu erfüllen. Wenn nicht, dann weiß ich, was ich von der Welt zu halten habe.
Mein halbes Leben ist daran gescheitert, dass eine Frau einen Herrschaftsanspruch hat, der unter allen Umständen unerfüllbar bleibt. Ich beanspruche, dass über meinen Wert mit mir nicht zu verhandeln ist. Dass ich allein zuständig bin, wenn es um die Einschätzung meiner Person geht. Ich bin wahrscheinlich nicht anders als Ursula. Ihr Anspruch ist: sie einzig und allein. Ich habe ihr den plappersüchtigen, vorlauten, nie ernstzunehmenden Berti geschildert. Ich habe ihr vorgeschlagen, Berti kennenzulernen. Sie kriegte Frostanfälle. Ich habe ihr gesagt, dass mein Leben mit ihr erfüllt war von einhunderttausend Zärtlichkeiten. Dass meine Gefühle für sie immer mühelos waren. Hell. Schwebend. Schmeichelnd. Unersättlich in der Hingabe. Und das alles erlebt sie nicht mehr, weil es das rundlich-muskulöse Stehaufmännchen Berti gibt. Der mich erlöst aus allen Unsicherheiten, die mich ausmachen.
So rede ich mich heraus. Und glaube mir nicht, was ich sage. Verglichen mit Ursula ist Berti ein Zwerg. Eine Lachnummer. Eine liebe Lachnummer. Ursulas Wesen ist, ich muss es sagen, gewaltig. Schau, ich habe heute Nacht wieder von Eli geträumt.

Weitere Kostenlose Bücher