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Die Inszenierung (German Edition)

Die Inszenierung (German Edition)

Titel: Die Inszenierung (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Walser
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Inhaltslosigkeit aufführt, umso höher wird sie geehrt. Wäre es meine Pflicht, diese Behauptungspraxis ohne Lust auf Selbstwiderlegung zu durchleuchten?
Nein, ich will die Kraft spürbar machen, die entsteht durch Rede und Gegenrede. Auch wenn ich mir selber mehr widersprechen muss, als akademisch erträglich ist. Dann soll von mir aus denkbar werden, dass recht zu haben ein eher bescheidener Bewusstseinszustand ist. Wahrscheinlich nur eine Art unfeiner Herrschsucht.
Soll ich mir gerettet vorkommen? Halbiert, aber gerettet?
Ich liebe Ursula. Ich habe sie nie ohne Liebe gevögelt. Allerdings nie mit jener Gier, die Berti in mir weckt. Ein Vorfahr von mir war in Platen verliebt. August Graf von. Er existiert in der Literaturgeschichte nur noch, weil sich Heine über ihn als Schwulen lustig gemacht hat. Und in Kennern echot sein Satz: Wer die Schönheit angeschaut mit Augen. Mein Vorfahr hat Platens Gedichte ins Lateinische übersetzt. Das kann nur Liebe gewesen sein. Oder Hochmut. Er wollte Platen retten vor der Verachtung der Ignoranten. Sogar drucken ließ er seinen lateinischen Platen. Unter dem doch erstaunlichen Titel: Luxus. Das Büchlein hab ich noch.
Immer wenn mir mein Hochmut in den Sinn kommt, flüchte ich mich zu meinem an Platen verlorenen Vorfahren. Dass ich hochmütig bin, weiß ich, auch ohne dass es mir gesagt wird. Berti sagt es mir am deutlichsten. Er mag es, dass ich hochmütig bin. Auf Kritik reagiere ich immer übermäßig gereizt. Ich merke, dass ich mich nicht beherrschen kann. Und es ist mir egal. Nur Ursula gegenüber war ich nie hochmütig. Ich bewunderte sie immer. Was für eine Anwältin! Ich war immer stolz auf sie. Ich habe außer ihr keinen Menschen angebetet. Ich habe als Bertis Mann immer darunter gelitten, dass Ursula mir fehlte, wenn ich bei Berti war. Ich habe mein Glück mit Berti immer als ein halbiertes Glück erlebt. Das volle Glück wäre es gewesen: Ursula, Berti und ich! Dahin führt unter unseren Umständen kein Weg. Da es jetzt schon gar nicht mehr denkbar ist, bemerke ich, dass ich immer zugelebt habe auf diesen Zustand: Ursula, Berti und ich. Wie auf eine Utopie. Mein Gott, ich war immer verliebt. In Männer und in Frauen bzw. in Buben und in Mädchen. Jeder und jedes konnte mich in Begeisterung stürzen. Bis ich das auseinanderhalten konnte, war es zu spät. Wahrscheinlich bin ich ein Anachronismus. Auf jeden Fall bin ich unter den jetzt bei uns geltenden Liebesvorschriften unmöglich oder verurteilt oder einfach illegitim. Illegitimität sei ein anderes Wort für Depression. Irgendwo gelesen. Und trotz meiner nahezu prinzipiell illegitimen Lebensart hatte ich keinen Mut, etwas Unrechtes zu tun. Vielleicht gehört sich das so: Je illegitimer, umso legaler. Das müsste jetzt nachlassen, da ich mich doch moralisch einer einwandfreien Existenz nähere.
Jemand, der sich durchsetzen kann, hätte das vielleicht geschafft: Ursula, Berti und ich.
Ich habe im Klübbche nicht geschafft, dass Berti und ich als Alcibiades und Sokrates figurieren konnten. Der Physiker nannte uns Mr. Konvex und Mr. Konkav, und sofort hießen wir so. Das hat auch mich beeindruckt. Sogar Berti war lieber Mr. Konvex als der Perikles-Neffe Alcibiades. Es hat ihn nie interessiert, warum ich ihn gern als Alcibiades gehabt hätte. Vorlaut ist er, sprunghaft, auftrumpfend, rechthaberisch bis zum Grotesken. Das heißt: rechthaberisch immer nur zum Spaß. Nie im Ernst. Kindisch und kein bisschen kindlich. Das ist Berti. Das war Alcibiades. Und Sokrates hatte keine Chance, ihn zu erziehen. Das wollte ich durch diese Namenswahl gestehen. Nehmt mir Berti nicht übel. Ich habe auch keine Macht über ihn. Aber das Klübbche ist das Gegenteil einer Akademie. Ich hätte ihnen gern Platons Gastmahl vorgelesen. Wenigstens die Stelle, wo erzählt wird, wie Sokrates und Alcibiades eine Nacht verbringen.
Wie verloren ich immer war, habe ich nicht geahnt, weil ich mir die Tatsächlichkeit dessen, was gegen mich jederzeit in Gang gesetzt werden konnte, überhaupt nicht habe vorstellen können. Auch die schlimmste Vorstellung dessen, was einem passieren kann, ist, verglichen mit der Wirklichkeit, eine romantische Verklärung. Wir sehen uns immer auf eine opernhafte oder trivial-edle Art erledigt. In Wirklichkeit werden wir von faserechten, wunderbar überlegenen, unverdrossenen, hochmoralischen Spezialisten erledigt. Soweit ich mich in meinem Doppelleben als Verbrecher fühlen musste, kann ich sagen: Die Magengegend ist

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