Die Interstellaren Freihändler: Science-Fiction-Zyklus (German Edition)
der winzige Raumhafen, der Seehafen und die Straßen. Nun ist die Siedlung leer, und die Siedler sind geflohen, noch bevor sie der Stadt ihren Namen geben konnten.
Warum ...?
Ein Objekt zwischen zwei Magneten schwebt unbeweglich, wenn es gleich stark angezogen wird. Ein anderes Objekt aber reißt auseinander. Wenn es zerstört wird, dann geschieht dies, weil das Material – ich nenne es die Psyche – die pausenlose Beeinflussung nicht ausgehalten hat. Die Menschen, die jahrelang auf Talvynders Oberfläche lebten und den Spannungsfeldern ausgesetzt waren, flüchteten. Dies war für sie zweifellos das Klügste, das sie tun konnten, und so leerten sich die Häuser um die stillen Innenhöfe.«
Karasingh Gargir und Aaleh hörten schweigend zu. Bisher schienen die Gründe für die innere Desertifikation der Siedler plausibel und nachvollziehbar. Artians Stimme verlor den gehetzten Tonfall, als er weiter vorlas.
»Aber nicht jeder Mensch litt unter den Spannungen. Es gab Individuen, die nur dann gut arbeiten konnten, wenn sie pausenlos Denkanstöße erhielten, ununterbrochen von einem Hagel aus Informationen bombardiert wurden, von Farben, Düften, Stimmungen und dem vielfältigen Kanon der Geräusche. Aber nicht alles, was unverständlich ist, hat zwangsläufig auch genügend Tiefgang. Für jenen Menschen, der vom positiven Stress profitiert, ist er seelisches Sprudelbad, ungetrübte Erholung und einzige Möglichkeit, die Schaffenskraft zu unterstützen. Ein solcher Mensch wird Künstler genannt; er ist Künstler , dessen Psyche die durchdringenden Impulse umformt und so dauerhafte Kunstwerke schafft.
Musik oder Plastiken, Bilder oder Bücher, Metallarbeiten, Holzschnitzerei oder Glasbläserei oder Architektur oder Gedichte und vieles andere. Seit Jahrtausenden entsteht Kunst nur auf diesem Weg. Aber leider gibt es auf Talwynder nur einen Künstler: Mich .«
Alver A. Artian zündete sich die nächste Zigarette an und las weiter.
»Ich kam her, sah mich um, freute mich. Hier würde ich meinen Bestseller schreiben. Ich mietete das Dachgeschoss in einem spitzgiebeligen Haus, schaltete den neuen Ecum-Sprechschreiber ein, den Lingualrecorder dazu, und dann flossen die Worte wie ein Sturzbach aus mir heraus. Die Kunststoff-Folien füllten sich ... 10 000 Wörter, 30 000 ...100 000. Dann hatte ich eine schöpferische Pause. Ich erholte mich, weil ich mich von Cabromin, Ostwind und Zigaretten ernährte. Ich unternahm lange Spaziergänge, befuhr den See mit einem Motorboot, schäkerte mit den derben Siedlermädchen und erkannte schließlich, dass ich auf einer Welt der Widersprüche lebte. Die neun Monde strahlen unromantisches Licht ab, die Schatten sind hart und farbig. Das natürliche Wasser ist entweder eiskalt oder kochte. Die Temperaturen pendelten zwischen Maxima hin und her. Die Siedler fröstelten früh, schwitzten mittags und verzweifelten abends, weil es regnete wie während der Sintflut – oder die Abfolge ist umgekehrt. Die Tiere: unglaublich wild oder so aufdringlich, dass man sie vertreiben muss. Die Pflanzen trieben entweder wirr aus oder dorrten, als habe man sie mit Salzsäure gedüngt. Wüsten oder Dschungel, Felsen oder Schlammlöcher – kein ›erträgliches Mittelmaß‹. Rasen, Blumen, Felder und Weiden ließen sich nur mit irrem Aufwand pflegen. Ich fühlte mich herrlich!
Als ich von einer kleinen Expedition zurückkam, fand ich nur noch meine Kammern und deren Inhalt vor. Alles andere war leergeräumt. Man hat sogar den Hyperraumsender demontiert und mitgenommen. Mich, den glücklichen Besucher, haben sie vergessen. Ich war der Einsame von Talvynder und schrieb weiter, am zweiten Teil des Romans. Bis ich eines Tages sagte: ›ENDE‹. Das Meisterwerk war zu Papier gebracht. Aber ich hatte niemanden, der es zur Taufe tragen und den geladenen Gästen zeigen konnte. Was tun?«
Alver Artian wartete, bis Gargir sein Glas wieder gefüllt hatte. Wenn sein Haar geschnitten und der Bart abrasiert waren, würde er wahrscheinlich ein gutaussehender Terraner in mittleren Jahren sein, mit großen, braunen Augen. Er nahm genussvoll einen tiefen Schluck und hob seine mitgenommen aussehenden Blätter hoch.
»Ich bin ein Mann der pragmatischen Gelassenheit, Mister Gargir. Also – ich setzte mich wieder hin – es gab im Haus und in der Stadt wenige, aber genügend Vorräte – und nahm Streichungen in meinem Manuskript vor. Zuerst reinigte ich mein Werk von überflüssigen Adjektiven; eine Riesenarbeit, die
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