Die Intrige
vorhatte. Er wollte ungesehen an sämtlichen Rittern, Pferden und Adligen vorbeirennen und dabei die ganze Zeit über schreien. Dann würde er auf den falschen König losgehen und die Krone an sich reißen.
Jonas warf einen Blick auf Katherine und Alex. Katherine stand vor Entsetzen wie angewurzelt da. Alex wirkte seltsam verwirrt und murmelte lautlos vor sich hin: »Richard? Richard III.? Aber das ist …«
Wenn etwas geschehen sollte, würde er es selbst tun müssen, begriff Jonas.
Mit einem gewaltigen Spurt setzte er Chip nach. Im einundzwanzigsten Jahrhundert hätte er ihn mit Leichtigkeit eingeholt – beim Basketballspielen war das an der Tagesordnung gewesen. Aber diesmal hatte Chip einen Vorsprung.
Vielleicht ist er sowieso im Vorteil, weil er ins fünfzehnte Jahrhundert gehört und ich nicht?, überlegte Jonas.
Er fiel zurück.
Doch dann hatte er Glück.
Chip wich einem Pferd aus und rutschte auf einem Dreckflecken aus. Nein, wahrscheinlich ist es Pferdemist, dachte Jonas. Er stieß sich noch fester mit den Zehen ab, so wie es ihm sein Fußballtrainer beigebracht hatte. Jetzt holte er auf.
Aber Chip kam bereits wieder auf die Beine und nahm die Schar unter dem Baldachin ins Visier, die Leute mit den glitzernden Kleidern. Mit hastigen Blicken gewahrte Jonas, dass einer von ihnen auf einem mit Quasten verzierten Kissen eine Krone vor sich hertrug. Wenn Chip unter den Baldachin und in die Nähe der Krone gelangte, würde Jonas ihn nicht mehr aufhalten können.
Er warf sich nach vorn.
Sekundenlang glaubte er, Chip verfehlt zu haben. Unter ihm quatschte etwas – Pferdemist! –, doch seine Hände ergriffen etwas Festes: Chips Bein.
Jonas zog ihn von den Menschen unter dem Baldachin fort. Er stand auf, um ihn besser festhalten zu können: zuerst an der Hüfte, dann an den Schultern. Zum Schluss hielt er Chip den Mund zu und zischte ihm ins Ohr: »Das ist nicht der richtige Weg!«
»Du verstehst das nicht!«, fauchte Chip zurück. Wenigstens schrie er nicht mehr. »Er stiehlt meinen Thron! Diese Krone gehört auf meinen Kopf!«
»Nein«, flüsterte Jonas eindringlich.
» Du
gehörst ins einundzwanzigste Jahrhundert. Hier solltest du eigentlich tot sein, schon vergessen?«
Diese Worte ließen sämtlichen Kampfgeist in Chip erlöschen. Er sackte zu Boden, als wollte er nie wieder aufstehen, selbst wenn tausend Pferde und Ritter über ihn hinwegmarschierten.
»Los, komm«, flüsterte Jonas. »Ich glaube, ich weiß, was du tun kannst, um dich ein bisschen zu rächen. Und vielleicht können wir damit sogar die Zeit reparieren.«
Chip runzelte die Stirn, erhob sich aber steifbeinig. Dann schlängelten sie sich abermals an den Pferden und Rittern vorbei, um zu Katherine und Alex zurückzukehren.
»Was glaubst du, wie viele Leute ihn gehört haben?«, fragte Jonas Katherine verstimmt, als sie wieder zusammen waren.
»Nur die vier oder fünf, die direkt neben ihm standen. Ehrlich«, sagte Katherine. »Sie waren die Einzigen, die erschrocken aussahen. Alle anderen haben so laut gejubelt … die Leute glauben hier doch sowieso an Geister, Zauberei und solche Dinge, also sind sie wahrscheinlich nicht allzu misstrauisch, meinst du nicht?«
»Wollen wir es hoffen«, murmelte Jonas.
Während der Krönungszug gemächlich weiterzog, schlüpften Jonas und die anderen in die Kirche.
»Wo können wir hin, um den Leuten aus dem Weg zu gehen?«, fragte Jonas, als sie im hinter Teil des riesigen Altarraums stehen blieben.
»Ich will niemandem aus dem Weg gehen!«, sagte Chip. »Ich –«
»Nur damit wir reden können«, versicherte ihm Jonas. »Und planen.«
»Dann hier entlang«, sagte Chip widerstrebend. Er deutete auf einen langen dunklen Gang.
Schließlich landeten sie zusammengekauert in einer Ecke neben schaurigen Statuen und flackernden Kerzen. Im düsteren Licht konnte Jonas endlich einen Blick in Alex’ gequältes Gesicht werfen.
»Was ist los mit dir?«, fragte er unumwunden. Sein Taktgefühl musste ihn etwa zu dem Zeitpunkt verlassen haben, als er mit Chip durch den Pferdemist gerollt war.
»Ich wusste nicht, dass es sich um Richard III. handelt«, sagte Alex. »Ich wusste überhaupt nicht, wer das war.«
»Weil er nicht Richard III.
ist «
, sagte Chip schneidend. »Er ist einfach nur Richard, der Herzog von Gloucester. Unser Onkel. Der den Thron an sich reißen will.« Aufgebracht funkelte er Alex an. »Du wusstest doch, dass er mit Vornamen Richard heißt.«
»Aber nicht der
Dritte
.«
»Na
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