Die Intrige
und?«, warf Jonas ein, ehe Chip ihn wieder unterbrechen konnte.
» Richard der Dritte
– das ist von Shakespeare«, erklärte Alex und zog eine Grimasse. »Es gibt ein ganzes Theaterstück über ihn. Er ist einer der schlimmsten Schurken der Literatur.«
Jonas unterdrückte ein Zittern. Der Literatur, ermahnte er sich. Nicht der Geschichte.
»Dass er ein Schurke ist, wissen wir schon«, schimpfte Chip. »Er wollte uns umbringen lassen! Und er raubt meinen Thron!«
»Moment mal«, sagte Katherine. »Shakespeare hat über diesen Kerl ein Stück geschrieben und Alex erinnert sich daran? Das ist toll! Damit wissen wir, welchen Verlauf die Geschichte nehmen soll!«
Das Licht der Gebetskerzen schimmerte durch sie hindurch.
»Na ja … äh … eigentlich …«, stammelte Alex.
»Was?«, wollte Katherine wissen.
Alex wand sich.
»Also, meine Mutter ist Lehrerin an einer High School«, sagte er. »Und sie liebt Shakespeare. Sie will mich ständig überreden, die Stücke zu lesen oder sie mir im Theater anzusehen oder einfach zuzuhören, wenn sie aus ihnen zitiert. Aber sie sind alle wahnsinnig langweilig, versteht ihr? Ich höre nie zu. Dass Richard III. ein übler Kerl ist, weiß ich nur, weil sie jedes Mal, wenn ich etwas ausgefressen habe, sagt: ›So wie du dich benimmst, könnte man glauben, ich würde Richard III. großziehen!‹« Alex legte die Stirn in Falten. »Ist Richard III. der, bei dem im Staate Dänemark etwas faul ist?«
»Wir sind in England«, sagte Jonas trocken.
»Ja, stimmt … Ich glaube, das war
Hamlet
«, sagte Alex. Er ballte die Fäuste und klopfte sich damit an die Stirn. »Denk nach, denk nach …« Dann ließ er dieHände kurz sinken. »Ich kann sämtliche bedeutenden Formeln von Einstein aufsagen. Hilft uns das weiter?«
»Im Moment nicht«, sagte Jonas. »Es sei denn, du kannst uns mit diesen Formeln hier rausbringen.«
»Und dann würde es Einstein wegen uns vermutlich nie geben«, sagte Katherine düster.
»Nein, wartet, ich habe einen Plan«, sagte Jonas.
Eigentlich hatte er gehofft, die anderen würden auf der Stelle verstummen und ihn ehrfürchtig ansehen. Aber Alex klopfte sich schon wieder mit den Fäusten an die Stirn und murmelte: »Ist ›der Winter unsers Missvergnügens‹ aus
Richard der Dritte
? Egal, jetzt ist Sommer. ›Ein kecker Bursch‹ vielleicht? Aber das hilft uns auch nicht weiter.« Katherine beobachtete Alex stirnrunzelnd. Chip starrte in der Ferne auf das Licht, das durch die offene Tür hereinfiel. Er hatte die Augen zu Schlitzen verengt, als lausche er auf den nicht enden wollenden Jubel draußen: »Lang lebe der König!« »Lang lebe Richard III.!«
»Das ergibt doch keinen Sinn«, murmelte er.
» Was
ergibt keinen Sinn?«, fragte Jonas und gab es einstweilen auf, seinen Plan zu verkünden.
»Sie haben erst letzte Nacht versucht, mich, den echten König, umzubringen«, sagte Chip. »Und sie hatten nicht einmal Erfolg damit. Jedenfalls gibt es keinen Beweis dafür. Wie können sie dann heute Richards Krönung feiern?«
Jonas zuckte die Achseln.
»Schnelle Vorbereitung?«, schlug er vor. »Große Siegesgewissheit?«
»Eine Krönung vorzubereiten braucht eine Menge Zeit«, sagte Chip. »Deshalb wurde ich ja bisher noch nicht gekrönt. Sie waren immer noch mit den Einzelheiten beschäftigt, den Einladungen …«
»Bist du sicher, dass du überhaupt König warst?«, fragte Jonas und zuckte gleich darauf zusammen, weil er fürchtete, bei Chip damit den nächsten Wutanfall auszulösen. »Kann man König sein, bevor man gekrönigt wird – oder wie das heißt?«
»Gekrönt«, sagte Chip mit Nachdruck, aber nicht böse. »Und ich bin so oder so König. Die Krönung ist nur eine Formalie. Ein Festakt für die Öffentlichkeit. Meine Krönung sollte überwältigend werden. Aber König war ich schon vorher. Ich wurde es in dem Moment, als mein Vater starb.«
»Oh«, sagte Jonas. »Wie erklärst du dir dann …« Er machte eine schwache Handbewegung in Richtung des Tumults, der von draußen hereindrang.
»Ich kann es mir nicht erklären«, sagte Chip. »Hast du gesehen, wie viel goldenes Tuch unser teuflischer Onkel getragen hat, den schimmernden Stoff, in den man echtes Gold gewebt hat? Und den purpurnen Samtumhang? Ich wette, die Schleppe war mindestens sieben Meter lang.«
»Na und?«, fragte Jonas. Er hätte nicht gedacht, dassChip sich in solch einem Moment für Modefragen interessieren könnte.
»Na und? Das musste alles mit der Hand gewebt und
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