Die Intrige
unsichtbar, aber Jonas rappelte sich auf und rannte dorthin, wo der Definator nach seiner Einschätzung landen würde.
HK hat ihn ein bisschen schräg geworfen, also müsste seine Flugbahn ungefähr … Er spitzte die Ohren, in der Hoffnung, den Definator aufschlagen zu hören. Doch jedes Geräusch, das er verursachen mochte, wurde vom Echo der Schritte übertönt, mit denen König Richard III. die Treppe zur Kammer hinaufstieg, in der Chip und Alex saßen, ohne etwas zu ahnen.
Jonas ließ sich auf die Knie fallen und begann mit den Händen von hier nach da zu fahren und nach dem Definator zu tasten. Wenigstens suchte er nicht mehr nach einem Stein auf einem Steinfußboden – dieser hier war so glatt wie Glas. Seine Hand berührte etwas … doch es war nur Katherines Hand. Erst da bemerkte er, dass auch sie auf den Knien saß und suchte.
»Ihr beiden seid wirklich nicht totzukriegen«, sagte HK bewundernd. »Ich bin froh, dass wir auf der gleichenSeite stehen. Ich wünschte nur, ich könnte auch euch davon überzeugen, dass es so ist.«
Weder Jonas noch Katherine antworteten ihm. Sie fuhren weiter mit den Händen über den Boden und Jonas begann langsam den Mut zu verlieren. Irgendwo musste der Definator doch zu Boden gefallen sein? Hatte HK neben der Unsichtbarkeit vielleicht noch eine andere Funktion aktiviert – eine, mit der man den Definator auch nicht fühlen konnte?
HK seufzte erschöpft.
»Hört mal«, sagte er. »Schaut euch doch einfach an, was 1483 vor sich geht. Der König ist oben an der Treppe.«
Jonas hob den Kopf und starrte auf die Szene. Eine Dienerin begrüßte den König und versprach, ihre Herrin von seiner Ankunft zu benachrichtigen.
»Seht ihr?«, sagte HK. »Der König ist allein gekommen. Er hat keine Soldaten mitgebracht, die für ihn morden sollen. Er schwingt weder Messer noch Schwerter – aber das würde er sowieso nicht tun. Könige lassen für gewöhnlich andere die Drecksarbeit für sich erledigen. Zumindest … ja, ich weiß, das ist immer noch das Mittelalter, aber …«
Jonas hörte ihm nicht mehr zu und suchte auch nicht länger nach dem Definator. Er hatte nur noch Augen für den Bildschirm, auf dem der König den Raum betrat, in dem sich Chip und Alex mit ihrer Mutter und den Schwestern unterhalten hatten.
Chip und Alex waren nicht mehr da.
Die Königin, oder besser die Ex-Königin, saß aufrecht und würdevoll auf dem Bett, die Töchter wie Miniaturausgaben ihrer selbst um sie herum. Selbst die Jüngste zeigte den gleichen Ausdruck hochmütiger Verachtung wie ihre Mutter.
»Richard«, sagte die Königin. Jonas konnte kaum glauben, dass ein einziges Wort gleichzeitig so anklagend und doch so höflich klingen konnte.
Ihm fiel auf, dass sie ihn nicht »König« genannt hatte. »Meine liebe, unglückliche Schwägerin«, sagte Richard, nahm ihre Hand und küsste sie. »Und meine entzückenden Nichten.«
Er küsste auch ihnen die Hand und setzte sich dann in den Sessel, in dem Chip noch vor Kurzem gesessen hatte.
»Ich hätte angenommen, dass Ihr beim Festmahl sitzt und schmaust«, sagte die Königin mit geheucheltem Interesse. »Und Eure Krönung feiert.«
Die Art, wie sie »Krönung« sagte, war meisterhaft. Mit zwei kurzen Silben gab sie ihm zu verstehen, dass er es nicht verdient hatte, König zu werden; dass er die Krone, wie alle wussten, gestohlen hatte und dass er, wenn er überhaupt noch einen Funken Anstand im Leib hatte, sich ihr zu Füßen werfen und sie um Vergebung bitten sollte, dafür, dass er ihren guten Namen und den seines verstorbenen Bruders in den Dreck gezogen hatte. Und dennoch lächelte sie höflich.
»Mein Bruder würde noch schmausen«, erwiderte Richard mit nicht mehr als einem Hauch von Demut in der Stimme. »Er würde schmausen, trinken und mit allen schönen Frauen des Reiches tanzen. Aber …«, sagte er mit stählernem Blick, »ich bin nicht mein Bruder.«
Die Augen der Königin wurden ein klein wenig schmaler, aber sonst gab sie durch nichts zu erkennen, dass Richard soeben ihren verstorbenen Mann beleidigt hatte.
»Unglücklicherweise«, sagte die Königin mit gerade so viel Trauer in der Stimme, dass Richard ihr nicht vorwerfen konnte, ihn beleidigen zu wollen, obwohl das offensichtlich der Fall war.
»Ich bedaure, dass er nicht mehr unter uns weilt«, sagte Richard leise, und diese Worte schienen das Gespräch von einem hinter Höflichkeit versteckten hässlichen Wortgefecht in eine Art Beileidsbesuch zu verwandeln.
Hatte
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