Die Invasion - 5
Kanonen freizumachen?!
Weil, wie ihm jetzt bewusst wurde, er gerade selbst in Panik geraten war, kaum dass er begriffen hatte, um wie viel die Reichweite der charisianischen Kanonen größer war als die seiner eigenen. Diese Panik würde niemandem helfen. Doyal zwang sich zur Ruhe, atmete einmal tief und kräftig durch, während auch schon die zweite und dritte Traubenkartätschensalve der Charisianer sirrend und pfeifend einkam und dann krachend in seiner Stellung einschlug.
Mach langsam, Charlz! Endlich hattest du die richtige Idee, aber mach langsam ! Gute Ideen sind ja gut und schön, aber du musst lang genug nachdenken, um auch die richtigen Entscheidungen zu treffen!
In den Artilleriehagel mischten sich weitere Kugeln von Scharfschützen, und sie fuhren fort, ihre grausame Ernte zu halten: Immer wieder trafen sie Männer, die unvorsichtig genug waren, sich aus dem Schutz des Geschützstandes herauszuwagen. Im allgemeinen Chaos konnte Doyal nicht erkennen, welche seiner Männer den Scharfschützen bereits zum Opfer gefallen waren. Aber ihm war schmerzlich bewusst, dass er immer weiter Männer verlor, den schützenden Erdwall zum Trotz. Eine dieser unsichtbaren Kugeln trennte die Spitze der Offizierskokarde an seiner eigenen Kopfbedeckung ab. Beinahe wäre er mit einem Satz hinter dem Erdwall vor der Kanone in Deckung gegangen. Er schaffte es gerade noch, sich davon abzuhalten - nicht, weil er sich besonders heldenhaft fühlte, sondern weil er genau wusste, wie labil die Moral seiner Männer unter diesen Umständen schon war. Statt sich also in Deckung zu werfen, wie jeder halbwegs Vernünftige das getan hätte, spielte er wie ein Wahnsinniger die Rolle, die von ihm als Befehlshaber nun einmal erwartet wurde. Er nahm die Kopfbedeckung ab, begutachtete die beschädigte Kokarde. Dann blickte er die Männer rings um sich an und schwenkte den Hut hoch über dem Kopf.
»Also gut, Jungs!«, schrie er. »Jetzt haben die meinen schönen Hut kaputtgeschossen, und das macht mich richtig wütend! Ich weiß nicht, ob wir von hier aus richtig auf diese Dreckskerle zielen können. Aber ich habe gottverdammt noch mal die Absicht, das herauszufinden! Wie sieht's mit euch aus?«
Mehr als dreißig seiner Schützen waren mittlerweile außer Gefecht gesetzt, mindestens die Hälfte davon tot. Die anderen aber erwiderten das grimmige Grinsen ihres Kommandeurs, und die Geschützführer hoben die Hand, kaum dass ihre Mannschaften die Traubenkartätschen aus dem Rohr geholt und mit Kanonenkugeln nachgeladen hatten.
» Feuer!«
Dahryn Bryndyn beobachtete, wie plötzlich eine Unmenge an Rauch von den Kanonen der Corisandianer aufstieg. Diese gewaltige Rauchwand war schon einschüchternd genug. Bryndyn hielt den Atem an, als die Sechsundzwanzigpfünder pfeifend die Luft durchschnitten und auf ihn zurasten.
Bedauerlicherweise, zumindest für die Schützen unter Charlz Doyals Kommando, hatten diese Sechsundzwanzigpfünder jedoch einfach nicht die Reichweite, die erforderlich gewesen wäre, um Bryndyns Geschütze zu erreichen. Weit vor den Batterien des charisianischen Offiziers schlugen die Kugeln ins Erdreich ein. Befriedigt stellte Bryndyn fest, dass er ganz Recht gehabt hatte mit seiner Annahme, der Boden hier sei zu weich. Die Kugeln der Corisandianer maßen beinahe sechs Zoll im Durchmesser. Doch der schwere, feuchte Mutterboden hier war beinahe vier Fuß tief, und so verschluckte das Erdreich die Geschosse einfach. Einige pflügten noch Gräben in die Weizenfelder, bevor sie schließlich liegen blieben, und Erdklumpen wurden umhergeschleudert, doch kein Mann und kein Lasttier war verletzt. Bryndyn gestattete sich ein grimmiges Lächeln.
»Also gut! Dann machen wir diese Mistkerle fertig!«, rief er.
Doyal sprang auf den Rand des Geschützstandes und begab sich damit jeglicher Deckung, um durch die dichte Rauchwand seiner eigenen Geschütze hindurchzuspähen. Ein kleines, sehr schnelles Objekt raste zischend unmittelbar an seinem rechten Ohr vorbei, und sofort begriff Doyal, dass diese Position hier weit über das hinausging, was man als Motivation für die Männer noch rechtfertigen konnte. Er blieb allerdings lange genug dort oben stehen, um mitzuerleben, wie der Wind den Rauch davontrug - und biss schmerzhaft fest die Zähne zusammen.
Soweit er das beurteilen konnte, hatte nicht eine einzige seiner Kanonenkugeln den Gegner auch nur erreicht. Er konnte Gräben in wogenden Weizenfeldern erkennen; die mussten von seinen
Weitere Kostenlose Bücher