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Die Invasoren von Ganymed

Die Invasoren von Ganymed

Titel: Die Invasoren von Ganymed Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philip K. Dick , Ray Nelson
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Gott, dachte er; was mache ich nur? Ich schlage meine Patienten nicht; ich helfe ihnen. Sie scheint mich zu treffen, irgendeinen tief verborgenen Bereich des Balkanismus in mir anzusprechen. Er bemerkte, daß sie ihn in diesem Augenblick aufmerksam betrachtete, seine Frustration, seine Angst – und seine Furcht auffing.
     »Du glaubst, daß dein kleiner Krieg so wichtig ist«, sagte sie. »Aber für mich ist es nur ein kleines und unwichtiges Scharmützel in einer weit größeren Auseinandersetzung.«
    »Was für eine größere Auseinandersetzung?«
     Sie deutete wortlos auf den Blumenkasten am Fenster; zwischen ihren Pflanzen trafen eine Gruppe roter Ameisen und eine Gruppe schwarzer Ameisen aufeinander. Einen Augenblick lang starrte Paul auf das Durcheinander von sich windenden Körpern und mahlenden Kiefern, dann sah er wieder weg, ohne etwas sagen zu können. Bin ich es, fragte er sich selbst, der in Träumen lebt und sich bequemen Illusionen hingibt? Bin ich am Ende der wirkliche Eskapist?
     Joan sah noch immer den Ameisen zu. Aber nicht mit schmerzhafter Anteilnahme, wie er bemerkte; vielmehr lag auf ihrem buddhahaften Gesicht ein schwaches, freundliches Lächeln.
     Rudolph Balkani saß an seiner mit Sonnenbatterien betriebenen Schreibmaschine und ließ die Worte aus seinen Fingern fließen. Er hatte mehr als zwei Tage ohne Schlaf verbracht, aber was machte das schon? Die Aufputschtabletten in seiner silbernen Pillendose würden ihn aufrecht halten, bis seine Arbeit getan war.
     Nur ein einziges Licht brannte in dem Raum: eine Glühbirne ohne Lampenschirm über dem vor Papierkram überfließenden Tisch, an dem er arbeitete. Der übrige Raum einschließlich der gekrümmten Gestalt des zerstörten Joan-Hiashi-Robots lag im Halbdunkel.
     Er hatte die Tür verschlossen; ein paarmal hatten Leute angeklopft, aber Balkani hatte ihnen gesagt, daß sie gehen sollten, und sie waren gegangen. Sowohl das Interkomgerät als auch das Videophon hatte er gründlich zerstört. Die Büste Freuds hatte auch sie geschafft.
    Jetzt lag die düster blickende Vaterfigur in Bronze mit dem Gesicht nach unten auf dem Boden. Ihre Wut hatte sich aufgebraucht. Für den Sohn war nun die Zeit gekommen, ein Universum zu erschaffen. Fieberhaft arbeitete Rudolph Balkani weiter an der Geburt eines neuen Universums in Form eines Buches, das das Universum Freuds zusammen mit allen vorhergehenden Universen ersetzen würde. Eine Generation von jungen Leuten würde dieses Buch schwenken in der Revolution der Jugend gegen das Alter.
     Während er arbeitete, summte er einen Melodiefetzen vor sich hin, immer die gleiche Melodie aus einer dieser Werbesendungen, die er in seinen frühen Jahren gesammelt und untersucht hatte. Er dachte daran, wieviel er aus der Fernsehwerbung gelernt hatte. Während andere den Fernseher abstellten, wenn die Werbespots kamen, hatte Balkani ihn dann erst angestellt. Natürlich hatten die Programme nichts als Mittelklassemoral zu verkaufen, was auf die Dauer ziemlich ermüdend war; die Werbespots hingegen verkauften eine Welt der Träume, in der Jugend und Gesundheit in einer kleinen Schachtel zu haben waren, und in der aller Schmerz und alle Pein hinweggeweht wurden durch langes, schönes, sich langsam im Wind bewegendes Haar. Die Filme der Avantgarde? Darüber konnte Balkani nur lächeln. In ihren surrealistischen Formalismen lag nichts, was mit dem Charisma der TV-Werbespots auch nur annähernd zu vergleichen war. Die Arbeit der engagierten Filmemacher der Sechziger und Siebziger hatte inzwischen die Gnade des Vergessens gefunden, die Videobandkopien von erotischer Seifen- und Bierwerbung im Fernsehen aus den gleichen Jahren erbrachten hingegen unter Sammlern Angebote bis zu zweihundert UN-Dollar.
     In diesem Augenblick war Rudolph Balkani dabei, sein Meisterwerk zu vollenden, die Therapie des Vergessens. Warum nicht? Der Fall Joan Hiashi, das einzige übriggebliebene Stück in dem kosmischen Kreuzworträtsel, hatte – in einer unerwarteten Weise, gewiß – seinen Platz gefunden. Obwohl er allein war in seinem Büro, lachte Balkani laut auf. Wie einfach es schließlich geworden war. Eine einzige Witzgeschichte, deren Pointe darin bestand, daß es gar keine gab.
    Was lag hinter allem?
    Das Vergessen.
     Plötzlich hielt Balkani inne. Der letzte Satz, den er getippt hatte, hatte etwas absolut Endgültiges an sich. Ja, er hatte den abschließenden Satz zum Hauptwerk seines Lebens geschrieben. Sorgfältig zog er das

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