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Die Invasoren von Ganymed

Die Invasoren von Ganymed

Titel: Die Invasoren von Ganymed
Autoren: Philip K. Dick , Ray Nelson
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ich mir und einer bedauernswer ten Frau beweisen, wollte, daß ich ein »wirklicher Mann« bin?
     Er sah hinüber zu Joans ausdruckslosem Gesicht und dachte: Aber sie scheint so weit entfernt zu sein. Ich frage mich, wohin sie sich zurückgezogen hat, da unten in ihren verborgenen Tiefen.
    »Wo bist du, Joan?« fragte er.
    »Nirgendwo.«
    »Du bist das kleine Mädchen Nirgendwo, nicht wahr?«
    »So könnte man mich nennen.«
     Paul entdeckte einen Vogel, vermutlich war es ein Kolibri; er aß auf dem Zweig eines Baums außerhalb des unkrautüberwucherten Gartens und zwitscherte vor sich hin. Es war immer das gleiche Lied, das er wieder und wieder sang, immer in genau der gleichen Weise. Während Paul ihm zusah, hätte er schwören können, daß der Vogel innehielt und ihn einen Augenblick lang schweigend und gedankenvoll musterte. Mensch und Vogel betrachteten sich gegenseitig – die Hitze wallte zwischen ihnen auf und nieder –, und dann begann der Vogel unvermittelt wieder zu singen. Plötzlich und ohne jede Vorwarnung fühlte Paul schmerzliche Gefühle in sich aufkommen. Phantasien tanzten in seinem Hirn, und unerklärliche Tränen verschleierten seine Sicht. Vielleicht war er einmal ein Vogel gewesen; jedenfalls hatte ihn dieser kleine Vogel als einen Bruder erkannt.
    Der Vogel kam näher, sang noch immer.
      Auch ich habe Flügel, dachte Paul. Aber du kannst sie nicht sehen. Und ich kann den Wind unter ihnen fühlen, kann die Luft spüren, die das Gewicht meines Körpers trägt.
    Als seine Sicht wieder klar wurde, war der Vogel weg.
     »Er wußte, daß du ihm zuhörst«, sagte Joan. »Er ist ein schlechter Komödiant.«
    »Passiert dir so etwas öfter?«
     »Ja«, sagte Joan. »Sie sind alle Komödianten, die Vögel und die Tiere, aber sie zeigen es dir nur dann, wenn sie spüren, daß du sie nicht verletzen wirst. Sie wissen nicht so viel wie die Menschen, aber sie verfügen über größere Weisheit. Einige von ihnen, insbesondere Katzen, sind große Philosophen und Heilige.«
    »Bist du eine Heilige?« fragte er, überrascht von seiner eigenen Frage.
     »Vielleicht. Wenn ich überhaupt einen Ehrgeiz habe, dann den, eine Heilige zu sein. Was sonst wäre erstrebenswert?«
     »Du hast schon den halben Weg hinter dir«, sagte Paul gedankenvoll. »Buddha und Christus haben damit begonnen, daß sie sich in die Wildnis zurückgezogen haben, in diese Art von Alleinsein, in der du jetzt zu sein scheinst, aber sie sind nicht dortgeblieben. Sie sind zurückgekommen – und haben versucht, uns anderen zu helfen. Das ist ihnen vielleicht nicht gelungen. Aber sie haben es wenigstens versucht.«
     Mit einiger Anstrengung erhob sich Paul Rivers und stand schwankend über ihr. Er streckte sich und fühlte sich wieder ganz in Ordnung.
     »Wohin gehst du?« fragte Joan. – »In die Stadt zurück«, sagte Paul grimmig. »Ich habe noch einiges zu erledigen.«
     Zu seiner großen Überraschung fand sich Gus Swenesgard nach der Großen Schlacht noch immer am Leben. Und da er noch immer lebte, konnte er sich den Luxus erlauben, seine Feinde zu bewundern.
     »Wir haben da ein paar verdammt tüchtige Neegs in den Bergen«, sagte er, an niemand besonderen gerichtet, während er durch die Vorhalle seines Hotels stapfte und in die Morgensonne hinaustrat. Er hielt inne und holte tief Luft, wobei er sowohl eine Menge trockenen Staubs als auch den gesunden Geruch verdorrender Gräser hereinbekam; er fuhr sich mit der Hand über das etwas unrasierte Kinn, hustete und spuckte. »Ich werde irgendwann mit dem Rauchen aufhören müssen«, murmelte er schweratmend. Aber tief in seinem Inneren wußte er, daß er nicht die Kraft dazu hatte.
    Statt dessen holte er eine Zigarre heraus und zündete sie an.
    Ah, dachte er verträumt, das ist schon besser. Es gab einfach nichts, was den Geschmack alten, abgestandenen Rauchs so gut zu überdecken vermochte wie neuer, frischer Rauch. Gus stieß den Rauch wieder aus, schwankte dann die Stufen hinab, wobei er sorgfältig darauf achtete, daß er nicht die eingebrochene erwischte, und ging in Richtung auf das Gefangenenlager die Straße hinab. Ein paar ungenützte Plätze waren eingezäumt worden, um den desertierten Neeg-Parts Unterkunft zu verschaffen, die in zunehmender Zahl in Gus’ Ansiedlung hereinströmten. Seit der Schlacht der Phantome war das Rinnsal der Abtrünnigen zu einem wahren Strom angewachsen. Wenn sie diese Illusionsmaschine weiterhin benützen, sagte Gus zu sich selbst, dann
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