Die irische Heilerin
„Sein Name ist Whelon.“
Eileens Dolch rutschte ab, und sie schnitt sich dabei leicht in den Finger. Doch sie tat so, als wäre nichts geschehen. „Tatsächlich?“
„ Rinne mé.“ Connor trat einen Schritt näher, und Eileen konnte nicht weiter zurückweichen. „Wie hat er sein Bein verloren?“
„Er wurde in einem Scharmützel mit den Normannen verletzt. Whelon blutete stark, und die Männer hatten keine andere Wahl, als die Wunde abzubinden.“ Sie wurde blass und biss sich bei der Erinnerung an den Tag auf die Lippen. „Die Krieger haben es nicht richtig gemacht, und als ich die Bandagen löste, hatte sein Fleisch schon angefangen zu schwären. Ich musste das Bein abnehmen, um ihn zu retten. Er wäre gestorben, wenn ich es nicht getan hätte.“
„Ich habe das, was du eben beschrieben hast, schon oft gesehen. Männer, die im Kampf viel Blut verlieren, müssen damit rechnen.“
Eileen schloss die Augen und versuchte die Schreie des Jungen aus ihrer Erinnerung zu verbannen. Einige Männer hatten ihn festgehalten, und mit jeder Bewegung der Klinge war es, als wenn man ihr eigenes Bein abgetrennt hätte. Bei den Göttern – sie hoffte, so etwas nie wieder tun zu müssen.
„Whelon will Soldat werden“, sagte Connor. „Er hat mich gefragt, ob ich ihn trainieren kann.“
Ein leichtes Lächeln umspielte ihre Lippen bei dem Gedanken an den willensstarken Whelon. „Das ist schon lange sein Traum.“
„Du solltest ihn nicht ermutigen“, warnte Connor. Er hielt ihr seine Hände entgegen, nur schwer konnte er seine Wut im Zaum halten.
Eileen legte ihren kleinen Dolch zur Seite und wandte sich ihm mit voller Aufmerksamkeit zu. „Es gibt immer Hoffnung.“
„Nein. Nicht für ihn. Und nicht für mich.“
„Es steht nicht so schlecht um deine Hände, wie du denkst. Gebrochene Knochen brauchen Zeit zum Heilen.“
„Ich werde keine Last für meine Familie sein.“ In seiner Stimme lagen Zorn und Verzweiflung, auch wenn er versuchte, sich nichts anmerken zu lassen. „Oder für dich.“
„Du bist keine Last.“ Sie streckte ihre Hände aus und legte sie auf seine Unterarme. „Wenn du etwas brauchst, frag einfach, und ich werde alles tun, was ich vermag, um dir zu helfen.“ Solche Worte konnten wenig trösten, die Resignation in seinem Gesicht war nicht zu übersehen. Wenn er sich selbst aufgab, würden seine Wunden niemals heilen. Bei dem Gedanken ergriff sie eine tiefe Verzweiflung.
Connor trat so nahe, dass es ihr unmöglich war, sich länger auf das Gemüse zu konzentrieren, dem sie sich in der Zwischenzeit wieder zugewandt hatte. Sie legte den Dolch zur Seite und fragte sich, was er wohl beabsichtigte.
Seine eisgrauen Augen schienen sie fast zu durchbohren. Die neu bandagierten Hände lagen auf der Platte des Tischs. „Ich habe durchaus Bedürfnisse, Eileen. Aber keine, die du erfüllen könntest.“
Die Anschuldigung, die in seiner tiefen Stimme mitschwang, sollte sie einschüchtern. Stattdessen wurde sie von dem dunklen Ton angezogen, der sie dazu brachte, jede attraktive Einzelheit seines Gesichts zu bemerken. Sein Mund, fest und doch samtweich, führte sie in Versuchung. Er hatte sein dunkelgoldenes Haar mit einem Lederband zurückgebunden, doch keine Kriegszöpfe waren an seinen Schläfen. Mehr Wikinger als Ire, hatte sie immer gedacht. Unten an seinem Kinn entdeckte sie eine kleine Narbe, wo kein Bart mehr wachsen wollte.
„Wenn du es mir nicht sagst, kann ich nicht wissen, was deine Wünsche sind“, sagte sie sanft. „Es ist keine Schande, mich zu fragen.“
Er blickte weg, und sie sah den Stolz, der in seiner Haltung zum Ausdruck kam. Ihr wurde klar, dass er sie niemals nach etwas fragen würde.
„Warum willst du ein verkrüppeltes Kind davon überzeugen, dass es Soldat werden kann? Oder einem Mann mit gebrochenen Händen sagen, dass er eines Tages wieder kämpfen wird?“
„Ich habe Vertrauen“,sagte sie ihm einfach.„Mit meinen Heilkräutern kann ich schon viel tun, um anderen zu helfen. Und doch gibt es immer Wunder, die sich nicht erklären lassen.“
Eileen umfasste seine beschädigten Hände. „Ich habe ein Kind in meinem Arm gehalten, das zwei Monate zu früh geboren wurde. Es hätte sterben müssen. Stattdessen wuchs es heran und wurde Lorcan, der Junge, der dich in den Feldern gefunden hat.“
Sie berührte vorsichtig die Bandagen, als wenn die Wärme ihrer Haut die Heilung herbeiführen könnte. „Ich habe viele Männer überleben sehen, die Kampfwunden
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