Die irische Heilerin
musste ungerührt bleiben, wenn er seine Klinge in das Herz eines Mannes senkte. Ein einziger Fehler, ein Augenblick des Zögerns brachten den Tod. Connor wusste es, denn er hatte die scharfe Schneide eines Schwerts in seiner eigenen Haut gespürt. Die Narben blieben. Und wenn dieser Junge versuchte, ein Soldat zu werden, würde er sterben.
Connor wanderte über die Wiese Richtung Wald. Whelons Bitte erinnerte ihn daran, dass er in den Wochen, die er bislang bei Eileen war, seinem Körper erlaubt hatte, schwach zu werden.
Das Verlangen, zu trainieren, seine Glieder zu strecken und seine Kraft wiederzugewinnen, wuchs in ihm. Er begann zu laufen. Seine geschwächten Beine spürten die Anstrengung sofort. Es gab Möglichkeiten, wenigstens seine körperlichen Fähigkeiten zu erhalten, auch wenn er noch kein Schwert führen konnte. Er beschleunigte seine Schritte und lief weiter in Richtung des abgelegenen Wäldchens.
Tief im Schatten der Bäume fand er einen Platz, an dem die Stämme nicht so dicht beieinander standen. Er blieb einen Moment stehen, um wieder zu Atem zu kommen. Danach streckte er den Arm aus, als würde er ein Schwert umfassen. Er bewegte sich über den Boden, stellte sich die Hiebe vor, griff mit einer imaginären Waffe statt der echten an, die er nicht umfassen konnte.
Wieder und wieder führte er die vertrauten Bewegungen aus, bis sein Körper instinktiv reagierte.
Schweiß lief von seiner Stirn, seine Beine schmerzten, als er imaginierte Schläge nach rechts, anschließend nach links parierte. Er konnte nicht zulassen, dass seine Verletzungen ihn besiegten. Wenn es so sein sollte, dass er seine Schwäche mit seinen Beinen ausgleichen musste, dann musste es eben so sein. Mit der Zeit würde er das Schwert, das Trahern ihm gegeben hatte, schon benutzen können.
Gedanken an Whelon störten auf einmal seine Konzentration. Das Kind hatte seine eigene Art der Kompensation für das fehlende Bein gefunden. Seine wohlgeformten Arme zeigten viel Kraft, weit mehr als die eines normalen Jungen. Könnte er nicht vielleicht doch lernen zu kämpfen? Connors Gedanken wanderten zu den Kriegern, die er kannte, zu Männern, die Gliedmaßen verloren hatten und trotzdem in den Kampf zurückgekehrt waren.
Aber das waren erfahrene Kämpfer gewesen, gewöhnt an Schmerz und Verlust. Sie kannten die Gefahren und vermochten sich darauf einzustellen. Whelon war nur ein Kind. Er konnte nicht auf dieselbe Weise trainieren wie jemand, der sein ganzes Leben lang gekämpft hatte.
Auch wenn Connor sich aufgrund langer Erfahrung schnell bewegte, nahmen doch die Qualen in seinen über einen großen Zeitraum nicht beanspruchten Muskeln zu. Schließlich sank er erschöpft zu Boden. Seine Lungen zogen sich schmerzhaft zusammen.
Connor starrte auf die Schienen unter den Bandagen an seinen Händen. Sie verbargen seine Verletzungen, und wenn auch manchmal die Haut juckte, so fühlte er doch kaum noch die großen Qualen vom Anfang. Obwohl Eileen versprochen hatte, die Verbände bald zu entfernen, überkam ihn das plötzliche Verlangen, sofort zu sehen, wie seine Hände geheilt waren.
Er benutzte seine Zähne, um die Bandagen zu lösen, und wickelte sie ab, bis die Schienen zu Boden fielen. Seine Haut hatte eine blassgraue Farbe angenommen, das aber machte ihm weniger Sorge als der Zustand seiner Knochen. Seine Finger waren nicht gerade zusammengewachsen. Die rechte Hand ähnelte eher einer Tierklaue als einer menschlichen Gliedmaße. Und sein Handgelenk vermochte er nicht zu beugen, seine Finger nur minimal zu bewegen.
Verzweiflung mischte sich mit Wut. Er hatte sich an die Hoffnung geklammert, dass Eileen doch die Kenntnisse hätte, ihn zu heilen. Nun bezweifelte er, dass das möglich war. Sie hatte sein Leben gerettet. Aber wozu?
Er hätte seinen Hass ignorieren und zu der Heilerin der Ó Banníons gehen sollen. Er hätte seinen Stolz herunterschlucken sollen. Stattdessen vertraute er Eileen.
Er konnte nicht anders, als einen Teil der Verantwortung ihr zuzuschieben. Wenn die alte Heilerin Kyna noch gelebt hätte, wäre es dann ihr gelungen, seine Hände zu retten? Eileen hatte nicht die Erfahrung, die nur die Zeit mit sich brachte.
Die Sonne vergoldete die Ränder der Äste mit ihrem Licht, während es langsam Nachmittag wurde. Doch Connor hatte keinen Blick dafür. Er spürte nur seine Furcht, dass seine Zukunft als Soldat zu Ende war. Trauer über diesen Verlust breitete sich in ihm aus, denn er konnte sich nicht vorstellen,
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