Die irische Heilerin
heran, damit ich sie besser hören kann.“ Rhiannon führte sie an einigen Clanmitgliedern vorbei, bis sie einen engen Kreis erreichten, wo die meisten Menschen standen. Viele kleine Kinder saßen auf den Schultern ihrer Pflegeväter, während die älteren Jungen öfters hochsprangen, um besser sehen zu können.
Eileen hielt ihre Tochter vor sich und ließ ihre Hände auf Rhiannons Schultern ruhen. Sie hörten die erste Geschichte, danach eine weitere. Die Erzählung über einen vagabundierenden Mönch brachte sie zum Lachen, bis sie auf einmal abgelenkt wurde, weil sie Connor in der Nähe stehen sah. Auch wenn er sie noch nicht entdeckt hatte, spannte sich ihre Hand auf Rhiannons Schulter.
Was würde er sagen, wenn er seiner Tochter zum ersten Mal begegnete? Würde er seine eigenen Züge in ihrem Gesicht erkennen? Eileen versuchte, sich innerlich auf die Möglichkeit vorzubereiten, dass er sie für das, was sie getan hatte, verachten würde. Sie hatte ihm sein Kind gestohlen, ihn in der Ritualnacht verführt. Sie wusste nicht, ob sie es ertragen würde, den Hass auf seinem Gesicht zu sehen.
„Wir sollten gehen.“
„Aber ich würde so gern noch die nächste Geschichte hören, Mutter“, bettelte Rhiannon.
Eileens Kehle schnürte sich zusammen. Sie hatte ihr Geheimnis seit über sieben Jahren verborgen. Sollte sie bleiben und ihm gegenübertreten? Oder sollte sie weglaufen? Die Wahl wurde ihre genommen, als Connor sie erblickte.
Sie hatte das Gefühl, als würden sich ihre Lungen zusammenpressen, doch sie ließ ihre Hände fest auf Rhiannons Schultern liegen. Dann sollte es eben so sein. Sollte er denken, was er wollte.
„Mutter, du tust mir weh …“
Sie lockerte ihren Griff. „Entschuldigung.“
Wenige Augenblicke später stand Connor vor ihnen. Eileen straffte ihren Körper und bereitete sich auf seine Anschuldigungen vor. Sein aufmerksamer Blick huschte für einen winzigen Moment über Rhiannon, aber er sagte nichts.
„Dies ist meine Tochter Rhiannon“, sagte Eileen. Sie hielt den Atem an, die Augen fest auf sein Gesicht gerichtet.
„Rhiannon.“ Connor begrüßte Eileens Tochter mit einem höflichen Kopfnicken. „Deine Mutter hat schon von dir gesprochen. Ich habe mit Bedauern vom Tod deines Vaters gehört.“
Der sanfte Ton, das angebotene Mitgefühl ließen Eileen erstarren. Er hatte seine Tochter, sein eigen Fleisch und Blut, nicht erkannt. Sie kämpfte mit einer aufsteigenden Verwirrung, denn dies war der Moment, den sie am meisten gefürchtet hatte.
Rhiannons Geheimnis war sicher, und sie musste nicht länger Angst haben. Es hätte ein befreiendes Gefühl sein sollen. Aber warum sammelten sich dann die Tränen in ihr und drohten, über ihre Wangen zu laufen?
„Haben sie ein Urteil gesprochen?“, brachte sie schließlich heraus.
Er neigte den Kopf. „Geh ein Stück mit mir, und ich werde es dir erzählen.“
Eileen ließ Rhiannon los und drückte ihr einen Kuss auf die Schläfe. „Hör dir die Geschichten an, a stór. Ich sehe dich später.“
Er blieb an ihrer Seite und wartete, bis sie sich von allen anderen entfernt hatten, die ihnen zuhören konnten. „Warum hast du dich eingemischt?“, fragte er heftig. „Der Fall ist nicht deine Sache.“
„Ich habe mich nicht getraut, den Ó Banníons die Wahrheit zu sagen. Doch die brehons sollten das Ausmaß deiner Verletzungen kennen.“
Er war immer noch wütend. „Ich bin kein Schwächling, Eileen. Und ich habe auch keine Angst, mich Ó Banníon mit meinem Schwert zu stellen.“
„Du kannst kein Schwert halten.“
„Ich werde es können.“
Sie schüttelte den Kopf. „Flann würde dich mit einem einzigen Schlag zu Boden strecken.“
„Warst du nicht diejenige, die gesagt hat, man solle immer seinen Glauben bewahren? Warst du nicht diejenige, die sich geweigert hat, die Hoffnungen derer, die du heilst, zu zerstören?“
Seine Worte ließen ihre Wangen glühen. „Das ist etwas anderes. Das bezog sich auf die Kinder, und du bist ein erwachsener Mann.“
„Ja, ich bin ein Mann. Einer, der mit dem Schwert lebt, und ich werde mich Ó Banníon stellen.“
„Was meinst du damit?“
„Morann hat meiner Bitte zugestimmt. In zwei Monaten, an Samhain, werde ich Flann Ó Banníon herausfordern.“
Ein Schaudern lief über ihren Rücken, sie vernahm ein furchtsames Flüstern von weit her. In ihr stieg eine Vision auf, eine von Flann Ó Banníons Klingen, die sich in Connors Fleisch senkte. Sie schloss die Augen und
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