Die irische Signora
lächelte ihn an. »Das hätte sich nicht geschickt.«
»Und dann ist er gestorben«, nickte Luigi. Suzi hatte ihn über die Signora und ihre Witwenschaft informiert. Doch Suzis Mutter behauptete immer noch steif und fest, daß sie eine Nonne sei.
»Ja, Lou. Dann ist er gestorben«, sagte sie leise.
»
Mi dispiace
«, meinte Lou. »
Troppo triste
, Signora.«
»Sie haben recht, Lou. Aber das Leben ist nun mal kein Zuckerschlecken, für niemanden.«
Er wollte gerade nicken, als ihn ein entsetzlicher Gedanke durchzuckte.
Heute war Donnerstag, doch es war kein Mann im Anorak dagewesen. Und kein Lieferwagen. Nun würde die Schule zwei Wochen lang geschlossen sein, und das Zeug lagerte die ganze Zeit hier im Wandschrank. Was um Himmels willen sollte er jetzt tun?
Die Signora hatte ihnen das Lied »Stille Nacht« auf italienisch beigebracht, und der Abend neigte sich seinem Ende zu. Lou war in heller Aufregung. Denn er war nicht mit dem Wagen da, und selbst wenn er um diese Uhrzeit noch ein Taxi auftreiben konnte, wie sollte er erklären, daß er vier schwere Schachteln aus dem Wandschrank mitnahm? Doch er sah auch keine Möglichkeit, vor Januar wieder hier hereinzukommen. Robin würde ihm den Kopf abreißen.
Obwohl … es war schließlich Robins Fehler, weil er ihm keine Telefonnummer, keine Instruktionen für den Notfall gegeben hatte. Wahrscheinlich war dem Kurier etwas dazwischengekommen. Er war die Schwachstelle bei diesen Transaktionen. Lou traf keine Schuld. Niemand konnte ihn verantwortlich machen. Allerdings hatte man ihn bezahlt, sehr gut bezahlt sogar, damit er einen kühlen Kopf behielt und überlegt handelte. Was also sollte er tun?
Der Aufbruch war in vollem Gange. Alle riefen sich Abschiedsgrüße zu.
Da erbot sich Lou, den Abfall wegzuräumen. »Nein, Lou, ich kann nicht zulassen, daß Sie das allein übernehmen. Sie haben sich bisher schon so ins Zeug gelegt«, meinte die Signora.
Und sofort sprangen ihm Guglielmo und Bartolomeo zur Seite. Nirgendwo sonst hätte er mit zwei so unterschiedlichen Männern freundschaftliche Kontakte knüpfen können, der eine war ein ernster Bankangestellter, der andere Lastwagenfahrer. Zusammen trugen sie die schwarzen Müllsäcke hinaus in die dunkle Nacht und zu den großen Müllcontainern.
»Die Signora ist wahnsinnig nett, nicht wahr?« meinte Bartolomeo.
»Lizzi glaubt, daß sie was mit Mr. Dunne hat, wißt ihr, dem, der die ganze Sache hier ins Laufen gebracht hat«, flüsterte Guglielmo.
»Ach was.« Lou war baß erstaunt. Und die Männer überlegten, ob da etwas dran sein konnte.
»Na, wäre es nicht einfach großartig, wenn das stimmen würde?«
»Aber in ihrem Alter …« Guglielmo schüttelte den Kopf.
»Vielleicht erscheint es uns als normalste Sache der Welt, wenn wir erst mal selber in ihrem Alter sind.« Lou wollte der Signora irgendwie beistehen. Ob es da besser war, dieses Gerücht als völlig lächerlich abzutun oder als normalste Sache überhaupt hinzustellen?
Und sein Herz klopfte immer noch wie verrückt wegen der Schachteln. Er wußte, daß er etwas tun mußte, was ihm von Herzen zuwider war: Er würde diese reizende Frau mit dem gescheckten Haar hintergehen müssen. »Wie kommen Sie eigentlich nach Hause?« fragte er sie beiläufig. »Holt Mr. Dunne Sie ab?«
»Ja, er hat gesagt, er käme vielleicht vorbei.« Dabei färbten sich ihre Wangen leicht rosa. Eine Folge des Weins, des schönen Abends, der direkten Frage.
Wenn schon Luigi, nicht gerade ihr hellster Schüler, etwas an ihrem Umgang mit Aidan Dunne aufgefallen war, dann wußte ja wohl der ganze Kurs Bescheid, fürchtete die Signora. Dabei wollte sie unbedingt vermeiden, daß man bei ihnen eine Affäre vermutete. Schließlich war weder in Worten noch in Taten irgend etwas vorgefallen, was über freundschaftliche Verbundenheit hinausging. Trotzdem sollten seine Frau und seine beiden Töchter lieber nichts davon erfahren. Und das Gerücht von einer Affäre würde zweifellos auch Mrs. Sullivan zu Ohren kommen.
Da die Signora so viele Jahre lang ein unauffälliges Leben geführt hatte, wollte sie jetzt keinesfalls zum Gegenstand von Klatsch und Tratsch werden. Wozu es überdies auch gar keinen Anlaß gab, denn schließlich sah Aidan Dunne in ihr nichts weiter als eine liebe Bekannte. Das war alles. Doch für andere Leute – für Leute wie Luigi, die irgendwie mehr im Leben verwurzelt waren – mochte es anders aussehen.
Noch immer sah er sie fragend an. »Soll ich für
Weitere Kostenlose Bücher