Die irische Signora
schon vorher geschrieben hatte. Die Buntstifte dafür hatte er extra in einem Laden mit langer Öffnungszeit gekauft.
»
Buon natale a Lei, Signora, e a tutti«,
stand darauf.
Die Schule würde also einen Fernsehapparat zu Weihnachten bekommen. Und die Schachteln waren in Sicherheit. Er würde sie jetzt gleich in Robins Wagen zu einem Ort fahren, wo ein anderer Mann mit einem anderen Lieferwagen sie schweigend in Empfang nehmen würde.
Was für ein Leben wohl Menschen führten, die an Heiligabend spontan Zeit hatten? Lou hoffte, nie zu diesen Leuten zu gehören.
Und er fragte sich, was die Signora wohl sagen würde, wenn sie das Geschenk sah. Würde sie die erste sein, die es zu Gesicht bekam? Vielleicht entdeckte ja auch dieser verrückte Tony O’Brien, der scheinbar Tag und Nacht hier herumstrich, als erster die Kiste. Jedenfalls würden sie sich alle bis ans Ende ihrer Tage darüber wundern. Lou hatte die Gerätenummer weggefeilt, der Fernseher konnte also in einem Dutzend Geschäften gekauft worden sein.
Auch die Verpackung verriet nichts über seine Herkunft. Wenn man Nachforschungen anstellte, würde bald klar sein, daß es sich nicht um Diebesgut handelte. Ihm würde man jedenfalls nie auf die Schliche kommen. Und auch das Rätsel, wie man den Apparat ins Klassenzimmer geschafft hatte, würde wohl nie gelöst werden. Irgendwann geriet dann die ganze Sache bestimmt in Vergessenheit, denn schließlich war nichts gestohlen oder beschädigt worden.
Selbst der heikle Mr. O’Brien würde letztendlich wohl aufhören, Spekulationen darüber anzustellen, wie man in das gut gehütete Gebäude hatte eindringen können.
Und die Schule besaß künftig einen klasse Fernseher mit Videorecorder, den man im Unterricht einsetzen konnte. Auch im Italienischkurs, für den das Geschenk ja schließlich bestimmt war.
Bei der nächsten Aufgabe, die Robin für Lou hatte, würde er dann Mist bauen. Worauf man ihm traurig erklären würde, daß es nie wieder etwas für ihn zu tun gäbe. Dann endlich konnte Lou ohne Altlasten aus seiner Vergangenheit ein normales Leben führen.
Am Weihnachtsmorgen war Lou reichlich erschöpft. Er kam auf Besuch zu Suzis Eltern, wo er zu Tee und Weihnachtsgebäck eingeladen war. Im Hintergrund spielte die Signora Schach mit Jerry.
»Schach!« flüsterte Suzi erstaunt. »Der Bursche versteht nicht nur die Spielregeln, sondern auch schon was von Strategie. Es geschehen noch Zeichen und Wunder.«
»Signora!« begrüßte er sie.
»Luigi«, sagte sie erfreut.
»Ich habe einen Schlüsselanhänger geschenkt gekriegt, der genauso aussieht wie Ihrer«, flunkerte er. Dabei war diese Sorte weit verbreitet; kaum ein Grund, Erstaunen zu zeigen.
Doch die Signora reagierte wie immer erfreut, wenn man das Wort an sie richtete, und nahm das Stichwort auf: »Wie meine Eule?« fragte sie.
»Ja. Lassen Sie mich doch mal vergleichen, ob es derselbe ist.«
Sie nahm ihren aus der Handtasche, und während Lou so tat, als vergleiche er die beiden, tauschte er sie aus. Jetzt konnte ihm nichts mehr passieren. Keiner würde sich später an dieses harmlose Gespräch erinnern. Vor allem, wenn er jetzt von anderen Geschenken erzählte und sie damit verwirrte.
»Himmel, ich dachte schon, Lou hört heute abend überhaupt nicht mehr zu reden auf«, stöhnte Peggy Sullivan, als sie zusammen mit der Signora Geschirr spülte. »Erinnern Sie sich noch an die Redensart: ›Mit einer Grammophonnadel geimpft‹? Kann man ja heute nicht mehr sagen, wo es nur noch CD s und Kassetten gibt.«
»Ja, ich erinnere mich an diesen Ausdruck. Ich habe einmal versucht, ihn Mario zu erklären, doch wie so vieles war er nicht zu übersetzen. Er hat nie begriffen, was ich damit eigentlich sagen wollte.«
Es war der richtige Augenblick für Vertraulichkeiten. Deshalb wagte Peggy, die dieser sonderbaren Frau sonst nie eine persönliche Frage stellte, einen Vorstoß: »Wollten Sie denn nicht, wenigstens an Weihnachten, mit ihrer eigenen Familie zusammensein, Signora?«
Die Signora schien überhaupt nicht verstimmt darüber. Nachdenklich versuchte sie, die richtigen Worte zu finden, wie sie es auch tat, wenn Jerry sie etwas fragte.
»Nein, das hätte mir nicht gefallen. Wissen Sie, es wäre so künstlich gewesen. Und obwohl ich meine Mutter und meine Schwestern mehrmals getroffen habe, hat es auch keine von ihnen vorgeschlagen. Sie leben ihr eigenes Leben, haben ihre eigenen Gewohnheiten. Und deshalb wäre es ein Fehler, mich ihnen
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