Die irische Signora
ein Bummel in der Stadt, Kaffeetrinken im Hotel, ein Pläuschchen nach der Messe. Man würde über sie tuscheln und sie bemitleiden. Die Leute würden bei ihrem Anblick den Kopf schütteln. Und Laddy würde das nicht verstehen. Dennoch, konnte sie angesichts der Umstände einfach so den Hof verkaufen und wegziehen? Schließlich gehörte der Hof im Grunde ihnen allen zusammen. Was hätten ihre vier Schwestern davon gehalten, wenn sie mit dem Verkaufserlös auf und davon gegangen wäre, um künftig mit Laddy und ihrem unehelichen Kind irgendwo in Dublin in einem möblierten Zimmer zu leben?
Sie heiratete Shay Neil.
Laddy fand das großartig. Am meisten freute es ihn, daß er bald Onkel sein würde. »Wird das Baby Onkel Laddy zu mir sagen?« wollte er wissen.
»Wenn du das möchtest«, entgegnete Rose.
Durch die Hochzeit hatte sich nicht viel verändert, bis auf die Tatsache, daß Shay nun in Roses Zimmer schlief. Und Rose ging nicht mehr so oft in die Stadt wie früher. Möglicherweise war sie aufgrund ihrer Schwangerschaft nun zu müde dazu, oder vielleicht lag ihr einfach nicht mehr soviel daran, die Leute aus der Stadt zu treffen. Laddy wußte es nicht genau. Ja, auch ihren Schwestern schrieb sie nicht mehr so häufig, dafür schrieben diese nun um so öfter. Die plötzliche Hochzeit hatte sie sehr überrascht. Und sie waren enttäuscht, daß es kein großes Hochzeitsfest gab, wie Rose es damals für sie ausgerichtet hatte. Sie waren lediglich zu Besuch gekommen und hatten Shay verlegen die Hand geschüttelt. Doch in den dürftigen Äußerungen ihrer sonst so mitteilsamen Schwester hatten sie keine befriedigende Erklärung für deren überstürzte Eheschließung gefunden.
Das Baby wurde geboren, ein kerngesunder Junge. Laddy war sein Taufpate und Mrs. Nolan vom Hotel seine Taufpatin. Man gab ihm den Namen Augustus. Gerufen wurde er Gus. Als Rose ihren Sohn im Arm hielt, konnte sie zum erstenmal wieder lächeln. Auch Laddy war ganz verliebt in den kleinen Kerl und wurde nicht müde, mit ihm zu scherzen. Shay blieb schweigsam und äußerte sich kaum, weder zu seinem Kind noch zu irgend etwas anderem. In dem seltsamen Haushalt ging das Leben weiter seinen gewohnten Gang. Laddy fing bei Mrs. Nolan im Hotel zu arbeiten an. Sie habe noch nie eine so gute Hilfe gehabt, schwärmte Mrs. Nolan. Er scheue vor keiner Arbeit zurück, ohne Laddy wären sie verloren.
Der kleine Gus machte die ersten stolpernden Schritte und jagte auf dem Hof den Hühnern nach. Rose sah ihm von der Haustür aus stolz zu. Shay Neil war mürrischer denn je. Manchmal musterte Rose ihn im Bett aus den Augenwinkeln, damit er es nicht bemerkte. Lange Zeit konnte er einfach nur mit offenen Augen daliegen. Woran dachte er? War er in seiner Ehe glücklich?
Zu Intimitäten kam es nur selten. Zuerst hatte Rose es so gewollt, weil sie schwanger gewesen war. Doch nach Gus’ Geburt hatte sie Shay ganz offen darauf angesprochen: »Wir sind jetzt Mann und Frau, und was vergangen ist, ist vergangen. Deshalb sollten wir uns auch wie ganz normale Eheleute benehmen.«
»In Ordnung«, hatte er ohne große Begeisterung erwidert.
Zu ihrer eigenen Überraschung stellte Rose fest, daß sie keinerlei Ekel oder Furcht empfand, wenn sie miteinander schliefen. Es beschwor nicht die Erinnerung an jene Nacht herauf, in der er ihr Gewalt angetan hatte. Im Gegenteil, es schienen die einzigen Minuten zu sein, in denen überhaupt so etwas wie Nähe zwischen ihnen bestand. Shay war ein schwieriger, verschlossener Mensch. Es würde nie einfach sein, sich mit ihm zu unterhalten, egal, über welches Thema.
In ihrem Haus gab es keinerlei Alkohol, abgesehen von der halben Flasche Whiskey auf dem obersten Küchenregal, die für Notfälle vorgesehen war oder dafür, einen Wattebausch damit zu tränken, wenn jemand Zahnschmerzen hatte. Über seine Trunkenheit in jener Nacht hatten sie nie gesprochen. Der Vorfall war für Rose so befremdend und alptraumhaft gewesen, daß sie ihn buchstäblich aus ihrem Gedächtnis gestrichen hatte. Sie rang sich nicht einmal zu der Erkenntnis durch, daß auch etwas Gutes daraus hervorgegangen war, nämlich Gus, ihr geliebtes Kind, das ihr das größte Glück auf Erden beschert hatte.
Daher traf es Rose völlig unvorbereitet, als Shay eines Tages stockbetrunken von einem Markt nach Hause kam. Er wirkte aggressiv und brachte kaum ein Wort heraus. Sie machte ihm Vorwürfe, was Shay so sehr kränkte und in Rage brachte, daß er seinen Gürtel
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