Die irische Signora
ordentlich zurechtgemacht und trug jetzt einen dunklen Rock, eine dunkle Strickjacke und eine weiße Bluse. Um die Platzwunde zu verbergen, hatte sie ihr Haar ein wenig in die Stirn frisiert. Im Kamin brannte ein Feuer, in dem Rose den zerbrochenen Stuhl verbrannt hatte. Er war bereits zu Asche zerfallen. Niemand würde mehr sehen, daß er als Waffe gebraucht worden war.
Ihr Gesicht war blaß. Sie hatte Tee gemacht und Kerzen für die Letzte Ölung bereitgestellt. Die Gebete wurden gesprochen, und Laddy und Gus sprachen mit Rose die Antworten.
Dann stellte der Doktor den Totenschein aus, auf dem als eindeutige Todesursache
Unfall in trunkenem Zustand
festgestellt wurde.
Die Frauen, die ihn waschen und aufbahren würden, sollten am nächsten Morgen kommen. Beileidsbekundungen wurden nur der Form halber entboten und entgegengenommen. Sowohl dem Doktor als auch dem Pfarrer war klar, daß es sich um eine Vernunftehe ohne Liebe gehandelt hatte, weil der Knecht die Herrin geschwängert hatte. Shay Neil vertrug keinen Alkohol, das war allgemein bekannt.
Über den Grund des Sturzes wollte der Doktor keine Vermutungen anstellen, auch das frische Blut in Roses Gesicht fand er keiner Bemerkung wert. Als der Pfarrer gerade beschäftigt war, nahm der Doktor schnell seine schwarze Tasche zur Hand. Ohne darum gebeten worden zu sein, untersuchte er kurz die Wunde und betupfte sie mit Desinfektionsmittel. »Das wird wieder gut, Rose«, sagte er. Und sie wußte, daß er nicht nur über die Wunde auf ihrer Stirn sprach.
Nach der Beerdigung lud Rose ihre Familie zu sich nach Hause ein, und da saßen sie alle in der Küche bei einem Mahl zusammen, das Rose sorgfältig vorbereitet hatte. Nur wenige von Shays Verwandten waren zur Beerdigung gekommen, und sie waren nicht zum Leichenschmaus eingeladen worden.
Rose hatte ein Anliegen. Da dieses Haus für sie nun so unglückliche Erinnerungen barg, wolle sie es verkaufen und zusammen mit Gus und Laddy in Dublin leben. Sie habe bereits mit einem Immobilienmakler gesprochen und sich erkundigt, welchen Preis man nach realistischer Einschätzung erzielen könne. Ob einer von ihnen etwas dagegen habe, daß der Hof verkauft wurde? Oder würde einer der Anwesenden ihn gerne selbst übernehmen? Nein, keiner von ihnen wollte hier leben, und ja, sie fanden es alle besser, wenn Rose das Anwesen verkaufte.
»Gut«, stellte sie knapp fest.
Gab es irgendwelche Erinnerungsstücke oder Andenken, die sie mitnehmen wollten?
»Jetzt gleich?« Die Eile überraschte sie alle.
»Ja, heute noch.«
Sie wollte das Haus am nächsten Tag zum Verkauf ausschreiben.
Gus besuchte die Schule in Dublin, und Laddy bekam dank Mrs. Nolans glänzenden Referenzen eine Stelle als Portier in einem kleinen Hotel. Schon bald wurde er dort wie ein Familienmitglied behandelt, und man bot ihm an, auch dort zu wohnen. Diese Lösung kam allen gelegen. Und die Jahre verstrichen ruhig und friedlich.
Rose begann wieder als Krankenschwester zu arbeiten. Gus schloß die Schule mit Erfolg ab und besuchte danach eine Hotelfachschule. Rose, mittlerweile weit über vierzig, war immer noch eine attraktive Frau und hätte in Dublin durchaus noch einmal heiraten können. Der Witwer einer Frau, die sie gepflegt hatte, schien sich für sie zu interessieren, aber Rose ging nicht darauf ein. Schließlich hatte sie bereits eine Vernunftehe hinter sich, das war genug. Wenn sie nicht jemanden kennenlernte, den sie von Herzen liebte, würde sie nicht noch einmal heiraten. Trotzdem hatte sie keineswegs das Gefühl, um die Liebe betrogen worden zu sein. Denn wer hatte schon das Glück, mit zwei so wundervollen Menschen wie Gus und Laddy zusammenzuleben?
Gus ging ganz in seiner Arbeit auf, er machte Überstunden und war bereit, die schwierigsten Aufgaben zu übernehmen, damit er alles über die Hotelbranche lernte. Laddy nahm ihn zu Fußballspielen und Boxkämpfen mit. Ihm fiel wieder ein, was die Wahrsagerin damals prophezeit hatte. »Vielleicht hat sie gemeint, daß ich mich für Sport interessiere«, erklärte er Gus. »Nicht, daß ich selbst Sport treibe, sondern einfach nur, daß ich damit zu tun habe.«
»Schon möglich.« Gus empfand eine zärtliche Zuneigung zu dem großen, freundlichen Mann, der sich so selbstlos um ihn kümmerte.
Keiner von ihnen sprach je über die Nacht, in der der Unfall passiert war. Rose fragte sich gelegentlich, wieviel Gus noch davon wußte. Immerhin war er schon sechs gewesen, alt genug, um alles
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