Die irische Signora
hatte. Sie hatten ihr ganzes Geld in eine Versicherungs- und Investmentfirma gesteckt, die in Konkurs gegangen war. Nun würden sie das Hotel verlieren, und all ihre Träume für die Zukunft waren geplatzt. Ihre einzige Hoffnung war, daß Rose nichts davon erfuhr. Vielleicht würde sie sterben, ohne von diesem Schicksalsschlag zu erfahren. Sie war mittlerweile so schwach, daß sie sie am Sonntag nicht mehr zu einem gemeinsamen Mittagessen mit der Familie ins Hotel fahren konnten, wie sie es in der ersten Zeit oft getan hatten. Der einzige Trost in all dem Unglück war, daß Rose nicht mehr miterleben mußte, wie ihr Lebenswerk zerstört wurde.
Aber sie konnten es ihr nicht verheimlichen.
»Ihr
müßt
mir erzählen, was los ist«, sagte sie zu Gus und Maggie. »Ihr könnt dieses Zimmer doch nicht verlassen, ohne mir reinen Wein einzuschenken. Soll ich mich in den paar Wochen, die mir noch bleiben, mit Gedanken herumquälen müssen, was passiert sein könnte? Wollt ihr, daß ich es mir vielleicht noch schlimmer ausmale, als es wirklich ist?«
»Was wäre das Schrecklichste, das du dir vorstellen kannst?« wollte Maggie wissen.
»Daß irgendwas mit den Kindern ist.« Sie schüttelten den Kopf. »Oder mit einem von euch? Oder mit Laddy? Ist jemand krank?« Wieder verneinten sie. »Nun, mit allem anderen kann man leben«, erwiderte sie mit leuchtenden Augen und einem strahlenden Lächeln auf ihrem hageren Gesicht.
Sie erzählten ihr die ganze Geschichte. Wie sie aus der Zeitung erfahren hatten, daß ihr ganzes Vermögen verloren war. Daß keinerlei Mittel mehr übrig seien, um ausstehende Forderungen zu begleichen. Harry Kane hätte zwar inzwischen im Fernsehen überzeugend versichert, daß niemand seine Investition verlieren und die Bank alle Gläubiger entschädigen würde. Aber niemand glaube so recht daran. Alles sei noch unklar.
Rose liefen Tränen übers Gesicht. Das hatte ihr die Zigeunerin Ella nicht prophezeit. Sie verfluchte Harry Kane und seine Mitwisser für ihre Habgier und ihre betrügerischen Machenschaften. Noch nie hatten sie Rose so wütend erlebt.
»Wir hätten es dir nicht sagen sollen«, meinte Gus betrübt.
»Unsinn, natürlich mußtet ihr es mir sagen. Und ihr müßt mir schwören, daß ihr mir von nun an immer alles gleich erzählt. Wenn ihr so tut, als wäre alles in Ordnung, und ich finde heraus, daß es nicht stimmt, werde ich euch das nie verzeihen.«
»Ich werde dir alle Unterlagen zeigen, Mam«, versprach Gus.
»Und wenn er es nicht tut, mache ich es«, sagte Maggie.
»Und Mam, falls wirklich alles den Bach runtergeht und wir uns eine andere Arbeit suchen müssen, nehmen wir Laddy mit.«
»Das weiß sie doch«, sagte Maggie vorwurfsvoll.
Nach einer Weile kamen sie mit Briefen von der Bank zu Rose. Anscheinend existierte ein Notfallfonds. Ihre Anlage stand zwar auf wackeligen Beinen, aber sie war nicht verloren. Rose las auch das Kleingedruckte sehr aufmerksam, um sicherzugehen, daß sie nichts übersehen hatte.
»Hat Laddy eigentlich eine Ahnung davon, daß wir um ein Haar alles verloren hätten?« fragte sie.
»Auf seine Weise hat er es schon verstanden«, sagte Maggie. Da wußte Rose, daß Laddy in guten Händen sein würde, wenn sie einmal nicht mehr lebte, und war sehr erleichtert.
Sie starb in Frieden.
Rose erfuhr nicht mehr, daß eine Frau namens Siobhan Casey im Hotel vorsprach und erklärte, daß nun erneut eine beträchtliche Investition erforderlich sei, zum Ausgleich dafür, daß das Hotel damals gerettet worden war. Miss Casey betonte, daß eine Gesellschaft mit beschränkter Haftung im Konkursfall nicht verpflichtet sei, die Investoren zu entschädigen; das Geld, das die Neils für ihr Hotel erhalten hätten, habe Mr. Kane aus privaten Mitteln zur Verfügung gestellt. Daher würden ihm nun doch sicher all jene Geschäftspartner, die er gerettet hatte, unter die Arme greifen.
Die Geheimniskrämerei bei diesem Projekt wurde mit dem Begriff »Vertraulichkeit« erklärt. Beeindruckende Verträge und Dokumente wurden abgefaßt, doch sollten keine Transaktionen über die normale Buchführung laufen. Es sei eine Vereinbarung auf Treu und Glauben, die die Steuerprüfer nichts angehe.
Zuerst verlangten sie keine hohen Beträge, doch das änderte sich, so daß Gus und Maggie begannen, sich Sorgen zu machen. Andererseits waren sie damals, als alles verloren schien, tatsächlich gerettet worden. Und vielleicht war so eine Vorgehensweise im Geschäftsleben gängige
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