Die irische Signora
bißchen ordinär, bei den Vorstellungsgesprächen hieß es, ich trüge zuviel Make-up, und die Typen, die mit mir ins Bett gehen wollten, meinten, ich sehe klasse aus. Woher soll ich also wissen, was nun stimmt?«
»O ja, das kenne ich«, pflichtete Fiona ihr bei. Ihre Mutter sagte, in T-Shirts sehe sie albern aus, aber die Leute im Krankenhaus waren begeistert davon. Die einen meinten, die Brille stehe ihr sehr gut, dadurch wirkten ihre Augen größer; die anderen fragten sie, ob sie sich denn keine Kontaktlinsen leisten könne. Und manchmal fand sie ihre langen Haare sehr schön, ein anderes Mal dagegen zu schulmädchenhaft.
»Letzten Endes habe ich wohl erkannt, daß ich erwachsen bin und es nie allen recht machen kann«, fuhr Suzi fort. »Und ich habe beschlossen, nur nach meinem eigenen Geschmack zu gehen. Ich habe schöne Beine, also trage ich kurze Röcke, aber nicht diese doofen, und ich benutze weniger Make-up. Und jetzt, da ich mir nicht mehr den Kopf darüber zerbreche, hat anscheinend keiner mehr was an mir auszusetzen.«
»Meinst du, ich sollte mir die Haare schneiden lassen?« flüsterte Fiona ihr vertrauensvoll zu.
»Nein, das meine ich nicht, und ich finde auch nicht, daß du sie lang lassen sollst. Es geht um deine Haare und dein Gesicht, und du solltest tun, was
du
für richtig hältst. Hör nicht auf das, was ich oder Bartolomeo oder deine Mutter dir raten, sonst bleibst du immer ein Kind. Das ist jedenfalls meine Meinung.«
Ach, die schöne Suzi hatte leicht reden. Fiona kam sich vor wie eine graue Maus. Eine graue Maus mit Brille und langen Haaren. Aber ohne Brille und lange Haare wäre sie nur eine blinzelnde kurzhaarige Maus. Wie konnte sie erwachsen werden und selbständig Entscheidungen treffen, wie es jeder normale Mensch tat? Vielleicht passierte ja irgend etwas, was ihr neue Kraft gab.
Barry hatte sich an diesem Abend gut amüsiert. Während er Fiona mit dem Motorrad heimfuhr und sie sich an seiner Jacke festklammerte, überlegte sie, was sie sagen würde, wenn er sie wieder zu einem Fußballspiel einlud. Sollte sie so mutig sein wie Suzi und ihm antworten, daß sie ihn lieber danach treffen würde? Oder sollte sie sich von jemandem in der Arbeit die Abseits-Regeln erklären lassen und wieder mitgehen? Was war besser? Wenn sie nur gewußt hätte, was sie selbst wollte! Aber sie war noch nicht so erwachsen wie Suzi, sie hatte keine eigenen Ansichten.
»Es hat mich gefreut, deine Freunde kennenzulernen«, meinte sie, als sie an der Straßeneinmündung vom Motorrad abstieg.
»Das nächste Mal darfst du dir aussuchen, was wir unternehmen«, sagte er. »Ich komme morgen mal vorbei. Morgen bringe ich nämlich meine Mutter nach Hause.«
»Ach, ich dachte, sie wäre schon zu Hause.« Da Barry gesagt hatte, er würde mit ihr ausgehen, wenn seine Mutter sich zu Hause wieder eingewöhnt hatte, hatte sie geglaubt, daß Mrs. Healy bereits entlassen worden war. Fiona hatte nicht gewagt, sich in der Nähe der Station blicken zu lassen, damit man sie nicht als diejenige erkannte, die die Freesien gebracht hatte.
»Nein. Wir haben geglaubt, es würde ihr soweit wieder gutgehen, aber sie hatte einen Rückfall.«
»Oh, das tut mir leid«, sagte Fiona.
»Sie hatte sich in den Kopf gesetzt, mein Vater habe ihr die Blumen geschickt. Was natürlich nicht stimmt. Und als sie das begriff, bekam sie einen Rückfall.«
Fiona wurde heiß und kalt zugleich. »Wie furchtbar«, murmelte sie und fragte dann mit schwacher Stimme: »Wie ist sie überhaupt auf diese Idee gekommen?«
Barry sah traurig aus. Er zuckte mit den Achseln. »Das weiß keiner. Sie hatte tatsächlich einen Blumenstrauß, und es stand auch ihr Name darauf. Aber die Ärzte glauben, daß sie ihn sich selbst gekauft hat.«
»Wie kommen sie darauf?«
»Weil niemand sonst gewußt hat, daß sie im Krankenhaus liegt«, antwortete Barry schlicht.
Wieder verbrachte Fiona eine schlaflose Nacht. Es hatte sich zuviel ereignet. Das Spiel, die Regeln, die Begegnung mit Luigi und Suzi, die Aussichten auf eine Italienreise, Luigis Vermutung, sie sei Barrys Freundin. Die Vorstellung, wenn man erst einmal erwachsen sei, könnte man selbständig handeln, sich eine eigene Meinung bilden, eigene Entscheidungen treffen. Und dann der entsetzliche, unerträgliche Gedanke, daß sie an dem Rückfall von Barrys Mutter schuld war, weil sie ihr diese Blumen geschenkt hatte. Dabei hatte sie der Frau nur eine Freude machen wollen. Statt dessen war nun alles
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