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Die irische Signora

Die irische Signora

Titel: Die irische Signora Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Maeve Binchy
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es sollte nur ein festes Menü angeboten werden.
    An der Tür hing ein schwarz umrandeter Zettel:
CHIUSO : morte in famiglia
. Die Signora runzelte die Stirn. Warum hatte dieses Familienmitglied nicht an irgendeinem anderen Tag sterben können? Warum ausgerechnet heute, da zweiundvierzig irische Gäste hier zu Abend essen wollten? Nun blieb ihr nicht einmal eine Stunde Zeit, um eine Alternative zu finden. Sie war so zornig, daß sie keinen Hauch von Mitleid für diese Familie empfand, die doch immerhin einen tragischen Verlust erlitten hatte. Warum hatte niemand vom Restaurant im Hotel angerufen, wie es im Fall unvorhergesehener Schwierigkeiten vereinbart worden war?
    Aufgebracht stapfte sie durch die Straßen um die Stazione Termini, vorbei an kleinen Hotels, billigen Unterkünften für diejenigen, die an dem riesigen Bahnhof ankamen. Was es hier weit und breit nicht gab, war ein nettes Restaurant, wie sie es im Auge gehabt hatte. Während sie nachdenklich auf der Unterlippe kaute, fiel ihr Blick auf ein Lokal namens Catania. Das mußte ein sizilianisches Restaurant sein. Ob das ein gutes Omen war? Konnte sie sich den Leuten dort auf Gedeih und Verderb ausliefern, ihnen schildern, daß in knapp eineinhalb Stunden zweiundvierzig Iren mit einem üppigen, aber billigen Essen rechneten? Sie konnte es zumindest probieren.
    »
Buona sera
«, sagte sie.
    Der stämmige junge Mann mit dem dunklen Schopf sah auf. »
Signora?«
Dann starrte er sie ungläubig an. »
Signora?«
wiederholte er, und ihm fiel fast die Kinnlade herunter. »
Non è possibile, Signora«,
rief er und kam mit ausgebreiteten Armen auf sie zu. Es war Alfredo, Marios und Gabriellas ältester Sohn. Rein zufällig war sie in sein Lokal gestolpert. Er küßte sie auf die Wangen. »
E un miracolo«,
meinte er und zog ihr einen Stuhl heran.
    Die Signora setzte sich. Ihr war plötzlich so schwindelig, daß sie sich an der Tischplatte festklammern mußte.
    »
Stock Ottanto Quattro«,
sagte er und goß ihr ein großes Glas von dem starken, süßen, italienischen Branntwein ein.
    »
No grazie …«
Doch sie hielt sich das Glas an die Lippen und nahm einen kleinen Schluck. »Ist das dein Restaurant, Alfredo?«
    »O nein, Signora, ich arbeite nur hier … um Geld zu verdienen …«
    »Aber was ist mit eurem Hotel? Warum arbeitest du nicht bei deiner Mutter?«
    »Meine Mutter ist gestorben, Signora. Vor sechs Monaten. Und ihre Brüder, meine Onkel, sie mischen sich ständig ein, wollen alles entscheiden … dabei haben sie keine Ahnung. Für uns gibt es dort nichts zu tun. Enrico ist geblieben, aber er ist ja auch noch ein Kind. Doch mein Bruder wird nicht mehr aus Amerika heimkehren. Und ich bin nach Rom gegangen, um etwas dazuzulernen.«
    »Deine Mutter ist tot? Arme Gabriella. Wie ist es passiert?«
    »Es war Krebs, es ging sehr schnell. Sie ist beim Arzt gewesen, kaum daß mein Vater einen Monat tot war.«
    »Das tut mir leid«, sagte die Signora. »Ich kann dir gar nicht sagen, wie leid mir das tut.« Und plötzlich war alles zuviel für sie. Daß Gabriella erst jetzt gestorben war anstatt schon vor Jahren, der scharfe Brandygeschmack in ihrer Kehle, kein Platz für das heutige Abendessen, Mario in seinem Grab in Annunziata. Sie brach in Tränen aus und weinte und weinte, während Marios Sohn ihr die Hand streichelte.
     
    Connie lag in ihrem Zimmer auf dem Bett und hatte um jeden Fuß ein mit kaltem Wasser getränktes Handtuch gewickelt. Warum bloß hatte sie keinen Fußbalsam eingepackt oder diese bequemen Schuhe aus handschuhweichem Leder? Wahrscheinlich war ihr der Gedanke peinlich gewesen, vor der weltfremden Signora eine Kulturtasche voll luxuriöser Kosmetika auszupacken. Aber es hätte doch keiner gewußt, daß ihre bequemen Schuhe mehr gekostet hatten, als irgendeiner ihrer Mitreisenden in drei Wochen verdiente. Hätte sie sie nur mitgenommen! Jetzt mußte sie dafür büßen. Morgen würde sie einen Abstecher zur Via Veneto machen und sich dort zum Trost ein paar wunderschöne italienische Schuhe kaufen. Das würde keinem auffallen, und wenn doch, war es auch egal. Hier war keiner besessen von dem Gedanken an Reichtum und Luxus. Nicht jeder dachte in diesen Kategorien. Nicht jeder war ein Harry Kane.
    Merkwürdig, daß der Gedanke an ihn sie so ungerührt ließ. Er würde Ende des Jahres aus dem Gefängnis kommen, und sie hatte vom alten Mr. Murphy gehört, daß er dann nach England gehen wollte. Irgendwelche Freunde würden sich um ihn kümmern. Ob

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