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Die irische Signora

Die irische Signora

Titel: Die irische Signora Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Maeve Binchy
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der Jahre lächelten ihr die Frauen immer freundlicher zu, während sie anfangs stotternd, dann flüssiger die fremde Sprache zu meistern lernte. Längst hatten sie aufgehört zu fragen, wann sie wieder nach Hause, zurück auf ihre Insel, fahren würde. Es war, als hätte sie in ihren Augen eine Art Probe bestanden: Die Signora machte keinem Kummer, sie durfte bleiben.
     
    Und nach zwölf Jahren hörte sie dann auch von ihren Schwestern. Rita und Helen schrieben ihr belanglose Briefe. Kein Wort darüber, daß sie an Geburtstagen und zu Weihnachten Karten von Nora bekommen hatten, daß sie all ihre Briefe an die Eltern gelesen hatten. Statt dessen schilderten sie ihre Hochzeiten, erzählten von ihren Kindern und den schweren Zeiten, wie teuer alles geworden war, wie wenig Zeit und wieviel Streß man doch hatte.
    Zuerst freute sich die Signora, von ihnen zu hören. Sie hatte lange darauf gewartet, daß ihre beiden Welten zusammenwuchsen. Zwar waren auch Brendas Briefe in dieser Hinsicht hilfreich, aber sie stellten keine echte Verbindung zu ihrer Vergangenheit, zu ihrer Familie her. Freudig beantwortete sie die Schreiben, erkundigte sich nach den Angehörigen und dem Befinden der Eltern und fragte, ob sie sich endlich mit der Situation abgefunden hätten. Da sie darauf keine Antwort erhielt, stellte die Signora andere Fragen, wollte die Meinung ihrer Schwestern zu Themen wie dem Hungerstreik der IRA , Ronald Reagans Sieg bei den amerikanischen Präsidentenwahlen oder zur Verlobung von Prinz Charles und Lady Di erfahren. Doch auch hierauf kam nie eine Antwort. Und wieviel sie ihnen auch von Annunziata schrieb, nie gingen sie darauf ein.
    Brenda hingegen meinte, sie wundere sich nicht im geringsten über Ritas und Helens Kontaktaufnahme.
    »Du kannst jetzt täglich damit rechnen, auch von Deinen Brüdern zu hören«, schrieb sie. »Denn die bittere Wahrheit ist, daß es Deinem Vater nicht gutgeht. Wahrscheinlich muß er auf Dauer ins Krankenhaus, und was wird dann aus Deiner Mutter? Nora, ich sage Dir das mit so brutaler Offenheit, weil es brutal und traurig ist. Du weißt sehr gut, daß ich es für eine große Dummheit gehalten habe, in dieses gottverlassene Bergnest zu ziehen, um zuzuschauen, wie der Mann, der Dir seine Liebe beteuert hat, mit seiner Familie vor Dir herumstolziert … aber bei Gott, ich denke ganz und gar nicht, daß Du jetzt etwa heimkommen solltest, um Dich um Deine Mutter zu kümmern, die sich keinen Pfifferling um Dich geschert und nicht einen Deiner Briefe beantwortet hat.«
    Traurig las die Signora diesen Brief. Bestimmt irrte sich Brenda. Bestimmt mißdeutete sie die Lage. Rita und Helen hatten geschrieben, weil sie den Kontakt nicht abreißen lassen wollten. Doch dann traf der Brief ein, in dem man ihr mitteilte, daß Dad ins Krankenhaus eingeliefert worden war, und die Frage stellte, wann Nora heimkommen und die Sache in die Hand nehmen würde.
    Es war Frühling, und nie hatte Annunziata schöner ausgesehen. Aber die Signora war blaß und niedergeschlagen. Selbst Menschen, die sie mit Argwohn betrachteten, waren besorgt. Die Leones, die Ansichtskarten und kleine Zeichnungen verkauften, statteten ihr einen Besuch ab. Ob sie vielleicht ein bißchen Suppe wolle, eine
stracciatella
, Brühe mit geschlagenem Ei und Zitronensaft? Sie lehnte dankend ab, doch ihr Gesicht war bleich und ihre Stimme tonlos. Sie machten sich Sorgen um sie.
    Das Gerücht, daß es der Signora nicht gutging, drang bis auf die andere Seite der
piazza
ins Hotel und kam dort dem attraktiven, dunkelhäutigen Mario und seiner soliden, treuen Ehefrau Gabriella zu Ohren. Vielleicht sollte man den
dottore
rufen?
    Gabriellas Bruder runzelte die Stirn. Wenn in Annunziata eine Frau an einer rätselhaften Schwäche litt, hieß das oft nur eins: daß sie schwanger war.
    Der gleiche Gedanke durchzuckte Mario. Aber er hielt allen Blicken gelassen stand. »Das kann nicht sein, sie ist beinahe vierzig«, meinte er.
    Dennoch warteten sie gespannt auf den Arzt und hofften, daß er sich bei einem Glas Sambucca – seine kleine Schwäche – dazu äußern würde.
    »Die Ursache ist in ihrem Kopf«, vertraute ihm der
dottore
an. »Eine merkwürdige Frau. Körperlich fehlt ihr nichts, sie ist einfach nur sehr traurig.«
    »Warum geht sie dann nicht zurück nach Hause, in ihre Heimat?« fragte Gabriellas ältester Bruder. Seit dem Tod des Vaters war er das Familienoberhaupt. Und ihm waren beunruhigende Dinge über seinen Schwager und die

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