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Die irische Signora

Die irische Signora

Titel: Die irische Signora Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Maeve Binchy
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Signora zu Ohren gekommen. Aber er wußte auch, daß das nicht stimmen konnte. Kein Mann konnte ein solcher Narr sein, so etwas direkt vor seiner Haustür zu tun.
    Die Dorfbewohner sahen mit an, wie die Signora immer mehr den Kopf hängen ließ, und nicht einmal die Leones konnten die Ursache dafür ergründen. Die arme Signora. Sie saß einfach nur da, den Blick in die Ferne gerichtet.
    Eines Nachts, als seine ganze Familie schlief, schlich Mario über die Straße und hinauf in ihr Schlafzimmer.
    »Was ist passiert? Jeder erzählt, du seist krank und drauf und dran, den Verstand zu verlieren«, sagte er, als er sie in die Arme nahm und unter die Steppdecke schlüpfte, die sie mit den Namen italienischer Städte bestickt hatte: Firenze, Napoli, Milano, Venezia, Genova. Alle in unterschiedlichen Farben und mit kleinen Blumen drumherum. Ein Liebesbeweis, hatte sie Mario erzählt. Immer, wenn sie daran gearbeitet hätte, habe sie überlegt, wieviel Glück ihr doch beschieden sei, weil sie in dieses Land gekommen war und nun nahe dem Mann lebte, den sie liebte. Nicht jeder war so glücklich wie sie.
    Doch in dieser Nacht klang sie nicht wie eine der glücklichsten Frauen der Welt. Sie seufzte nur tief und lag schwer wie Blei auf dem Bett, anstatt sich frohgemut Mario zuzuwenden. Und sie sagte keinen Ton.
    »Signora.« Auch er nannte sie jetzt so wie alle anderen. Es wäre aufgefallen, wenn er ihren richtigen Namen gewußt hätte. »Liebe, liebe Signora, wie oft habe ich dir gesagt, daß du von hier weggehen sollst, daß du in Annunziata keine Zukunft hast! Aber du hast darauf bestanden hierzubleiben, das war nun mal deine Entscheidung. Und die Leute hier haben dich kennen- und liebengelernt. Man hat mir erzählt, daß der Arzt hier war. Ich möchte nicht, daß du traurig bist. Sag mir, was los ist.«
    »Du weißt, was los ist.« Ihre Stimme klang matt.
    »Nein, was denn?«
    »Du hast den Arzt gefragt. Ich habe gesehen, wie er ins Hotel gegangen ist, nachdem er bei mir war. Er hat dir gesagt, daß ich im Kopf nicht richtig bin, und das ist alles.«
    »Aber warum? Warum jetzt? Du hast so lange hier gelebt, ohne italienisch sprechen zu können, ohne eine Menschenseele zu kennen. In dieser Zeit hättest du verrückt werden können. Nicht jetzt, da du seit zehn Jahren in diesem Ort lebst.«
    »Mehr als elf Jahre, Mario. Beinahe zwölf.«
    »Na gut, wie auch immer.«
    »Ich bin traurig, weil ich gedacht hatte, daß meine Familie mich liebt und mich vermißt. Und jetzt muß ich feststellen, daß ich für sie nur als Pflegerin unserer alten Mutter interessant bin.« Sie sah ihn dabei nicht an. Kalt und reglos lag sie da und reagierte nicht auf seine Berührungen.
    »Du willst nicht mit mir zusammensein, obwohl es sonst immer so schön ist und wir so glücklich miteinander sind?« Er war sehr überrascht.
    »Nein, Mario, jetzt nicht. Danke vielmals, aber bitte nicht heute nacht.«
    Er stand auf und ging um das Bett herum, um sie anzusehen. Dazu entzündete er die Kerze in dem tönernen Kerzenständer; sie hatte nämlich keine elektrische Nachttischlampe. Ihr langes rotes Haar umrahmte das kalkweiße Gesicht auf dem Kissen, ein harter Kontrast zu den bunten Städtenamen. Er wußte nicht, was er sagen sollte. »Bald mußt du mit den sizilianischen Städten anfangen«, meinte er. »Catania, Palermo, Cefalù, Agrigento …«
    Wieder seufzte sie.
    Beunruhigt ging Mario nach Hause. Aber die Berge von Annunziata mit ihren täglich neuen Blumenteppichen verfügten über heilsame Kräfte. Die Signora wanderte draußen umher, bis ihre Wangen wieder Farbe bekamen.
    Von den Leones erhielt sie von Zeit zu Zeit einen kleinen Korb mit Brot, Käse und Oliven: Und Gabriella, Marios Ehefrau, überreichte ihr mit steinerner Miene eine Flasche Marsala und sagte, für manche Leute sei das wahre Medizin. An einem Sonntag war sie dann bei den Leones zum Mittagessen eingeladen. Es gab
pasta Norma
, mit Auberginen und Tomaten.
    »Wissen Sie, warum man dieses Gericht so nennt, Signora?«
    »Nein, Signora Leone, leider nicht.«
    »Weil es so gut ist, daß es in seiner Vollkommenheit der Oper
Norma
von Bellini gleicht.«
    »Der schließlich Sizilianer war«, ergänzte die Signora stolz.
    Sie tätschelten ihr die Hand. Die Signora wußte soviel über ihr Land, ihr Dorf. Wer wäre nicht von ihr entzückt gewesen?
    Paolo und Gianna, denen das kleine Keramikgeschäft gehörte, töpferten ihr einen eigenen Becher; sie schrieben
Signora d’Irlanda
darauf. Und

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