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Die irische Signora

Die irische Signora

Titel: Die irische Signora Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Maeve Binchy
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verkaufte, oder Noras gute Freunde Paolo und Gianna, die kleine Schüsseln und Becher töpferten, auf denen
Annunziata
geschrieben stand. Andere wiederum verkauften Orangen oder Blumen aus Körben. Sogar sie, Nora, profitierte von dem Touristenstrom, denn sie fertigte nicht nur Spitzentaschentücher und Tischläufer für den Verkauf an, sondern machte auch kleine Führungen für englischsprachige Besucher. Sie zeigte ihnen die Kirche, erzählte von deren Geschichte und wies sie auf Orte im Tal hin, wo Schlachten stattgefunden und möglicherweise die Römer gesiedelt hatten. Jedenfalls waren sie mit Sicherheit jahrhundertelang Stätten einer bewegten Vergangenheit gewesen.
    Nie hielt sie es für notwendig, Brenda von den fünf Kindern zu erzählen, die Mario und Gabriella inzwischen hatten. Alle mit großen dunklen Augen, die Nora quer über die
piazza
argwöhnisch musterten, wenn sie den Blick nicht gerade mürrisch gesenkt hielten. Zu jung, um zu wissen, wer sie war und warum man sie haßte und fürchtete, doch klug genug, um sie nicht einfach nur für eine x-beliebige Nachbarin zu halten.
    Schließlich hatten Brenda und Pillow Case keine eigenen Kinder. Warum sollten sie sich also für diese hübschen, sizilianischen Sprößlinge interessieren, die niemals lächelten und von den Stufen des Familienhotels aus hinüber in das kleine Zimmer starrten, wo die Signora über ihrer Näharbeit saß und dabei das Geschehen auf der Straße beobachtete?
    So nannte man sie in Annunziata, einfach die Signora. Als sie hergekommen war, hatte sie erzählt, sie sei Witwe. Und Signora klang ihrem Namen Nora so ähnlich, daß sie das Gefühl hatte, sie hätte seit jeher so geheißen.
    Selbst wenn jemand dagewesen wäre, der sie von Herzen geliebt und sich um sie gesorgt hätte, wäre es schwierig gewesen zu erklären, wie ihr Leben in diesem Dorf verlief. Über einen Ort wie diesen hätte sie in Irland nur die Nase gerümpft. Hier gab es kein Kino, keinen Tanzsaal, keinen Supermarkt, der Bus verkehrte unregelmäßig, und wenn er dann endlich kam, zogen sich die Fahrten endlos in die Länge.
    Aber sie liebte jeden einzelnen Stein dieses Dorfes, denn hier lebte und arbeitete und sang Mario in seinem Hotel, hier zog er seine Söhne und Töchter groß und lächelte ihr zu, wenn sie am Fenster saß und nähte. Und sie nickte huldvoll zurück und merkte gar nicht, wie die Zeit verging. Längst erinnerte sich keiner mehr an ihre leidenschaftlichen Londoner Jahre, die 1969 zu Ende gegangen waren – keiner außer Mario und der Signora.
    Selbstverständlich dachte auch Mario voller Liebe und Sehnsucht und Bedauern daran zurück. Warum sonst hätte er sich in manchen Nächten in ihr Bett stehlen sollen, nachdem er mit dem Schlüssel aufgesperrt hatte, den sie für ihn hatte nachmachen lassen. Warum sonst hätte er sich über den dunklen Platz geschlichen, während seine Ehefrau schlief? Sie wußte, daß sie in mondhellen Nächten gar nicht erst auf ihn zu warten brauchte. Zu viele fremde Augen hätten eine Gestalt über die
piazza
huschen sehen und gewußt, daß Mario auf dem Weg zu der Fremden war, zu der seltsamen Ausländerin mit dem feurigen Blick und dem langen roten Haar.
    Hin und wieder fragte sich die Signora selbst, ob sie am Ende wirklich verrückt war, wie es ihre Familie daheim und höchstwahrscheinlich auch die Einwohnerschaft von Annunziata vermutete.
     
    Andere Frauen hätten ihn bestimmt ziehen lassen. Sie hätten ein wenig über die verlorene Liebe geweint und dann ihr Leben weitergelebt. 1969 war sie erst vierundzwanzig gewesen. Sie war dreißig geworden und dann auf die Vierzig zugegangen, während sie nähte und lächelte und italienisch sprach – doch nie in der Öffentlichkeit ein Wort mit dem Mann wechselte, den sie liebte. All die Jahre in London, als er sie gebeten hatte, seine Sprache zu lernen, und ihr vorgeschwärmt hatte, wie schön sie klang, hatte sie sich kaum ein Wort gemerkt, sondern darauf beharrt, daß er Englisch lernen müsse, damit sie in Irland ein Zwölf-Betten-Hotel eröffnen und damit ihr Glück machen könnten. Und all die Jahre hatte Mario gelacht und gesagt, sie sei seine rothaarige
principessa
, das hübscheste Mädchen der Welt.
    Aber die Signora hatte auch ein paar Erinnerungen, die sie sich nicht ins Gedächtnis rief, wenn sie an die Vergangenheit dachte.
    So dachte sie nicht daran zurück, welch heftiger Zorn Mario erfaßt hatte, als sie ihm nach Annunziata gefolgt und an jenem Tag aus dem

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