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Die irische Signora

Die irische Signora

Titel: Die irische Signora Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Maeve Binchy
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sie zogen ein Stück Gaze mit Perlenkranz darüber. So blieb das Wasser über Nacht frisch, ohne daß Fliegen oder Staub hineinfallen konnten. Verschiedene Leute kamen vorbei und erledigten Kleinigkeiten für das alte Paar, in dessen Haus die Signora lebte, damit diese sich keine Sorgen wegen ihrer Miete zu machen brauchte. Und dank dieser Freundschafts-, ja Liebesbeweise kam die Signora wieder zu Kräften. Selbst wenn man sich zu Hause in Dublin nichts aus ihr machte – von woher jetzt in immer kürzeren Abständen Briefe eintrafen, in denen sie nach ihren Plänen gefragt wurde –, hier war sie den Menschen teuer.
    So schilderte sie in ihren Antwortbriefen das Leben in Annunziata beinahe träumerisch und betonte, wie sehr sie hier doch gebraucht werde, wie ihre alten Vermieter auf sie angewiesen seien. Und zu den Leones, die sich oft wortreich stritten, mußte sie jeden Sonntag zum Mittagessen gehen, um das Schlimmste zu verhindern. Auch Marios Hotel erwähnte sie, wie sehr man dort auf die Touristen angewiesen sei, so daß alle Ortsbewohner ihren Beitrag für den Fremdenverkehr leisten mußten. Ihre Aufgabe war es, die Touristen herumzuführen, und sie hatte einen zauberhaften Platz entdeckt, wohin sie die Besucher brachte; einen Felsvorsprung, von dem aus man weit über die Täler und Berge schauen konnte.
    Auf ihren Vorschlag hin hatte Marios jüngerer Bruder dort ein kleines Café eröffnet. Es hieß
Vista del Monte
, also Bergblick – doch klang es auf italienisch nicht sehr viel schöner?
    Aber sie äußerte auch Mitleid mit ihrem Vater, der nun die meiste Zeit im Krankenhaus liegen mußte. Und es war sicherlich besser, daß sie den Hof verkauft hatten und nach Dublin gezogen waren. Auch ihre Mutter bedauerte sie, die nun – wie sie ihr geschrieben hatten – versuchte, in einer Dubliner Wohnung zurechtzukommen. Schon oft hatten sie Nora darauf hingewiesen, daß es in dieser Wohnung noch ein freies Zimmer gab, doch ebenso oft war sie darüber hinweggegangen; sie erkundigte sich lediglich nach dem Befinden ihrer Eltern und ließ leichte Verwunderung über die Postzustellung anklingen. Denn sie habe so regelmäßig geschrieben, schon seit 1969, und dennoch hatten ihr ihre Eltern bis heute, und das war bereits in den achtziger Jahren, nicht einmal geantwortet. Das könne sie sich nur damit erklären, daß sämtliche Briefe verlorengegangen seien.
    Im nächsten Brief lobte Brenda sie in höchsten Tönen.
    »Braves Mädchen. Du hast sie ganz schön durcheinandergebracht. Schätze, in spätestens vier Wochen hältst Du einen Brief Deiner Mutter in Händen. Aber bleib hart. Komm nicht ihr zuliebe nach Hause. Sie schreibt nur, weil man sie dazu zwingt.«
    Der Brief traf ein, und der Signora ging das Herz über, als sie die vertraute Handschrift der Mutter sah. Ja, sie war ihr selbst nach all den Jahren noch vertraut. Und sie wußte, daß Helen und Rita ihr Wort für Wort diktiert hatten.
    Denn ihre Mutter ging über die zwölf Jahre des Stillschweigens beinahe völlig hinweg. An ihrer beharrlichen Weigerung, auf die flehentlichen Briefe der einsamen Tochter in Italien zu antworten, sei die »sehr engstirnige Sichtweise Deines Vaters in Fragen der Moral« schuld. Die Signora lächelte müde. Selbst wenn ihre Mutter hundert Jahre lang über dem Brief gebrütet hätte, wäre ihr eine solche Formulierung nicht eingefallen.
    Im letzten Absatz schrieb sie: »Bitte komm nach Hause, Nora. Komm und wohne bei uns. Wir wollen uns in Deine Lebensplanung nicht einmischen, aber wir brauchen Dich. Sonst würden wir Dich nicht darum bitten.«
    Und sonst hätte sie auch nicht geschrieben, dachte die Signora. Zu ihrer eigenen Überraschung war sie gar nicht sonderlich verbittert. Diese Phase hatte sie wohl endgültig hinter sich. Sie hatte sie durchlebt, als Brenda ihr geschrieben hatte, daß sie den anderen als Mensch gleichgültig war und man sie lediglich als Pflegekraft für ihre alten, starrköpfigen Eltern haben wollte.
    Während sie hier ihr friedliches Leben führte, konnte sie es sich sogar leisten, ihre Familie zu bedauern. Denn verglichen mit dem, was sie von ihrem Leben hatte, waren ihre Eltern und ihre Geschwister arm dran. Also schrieb sie freundlich zurück, daß sie nicht kommen könne. Hätten sie ihre Briefe aufmerksamer gelesen, wüßten sie, daß sie hier unabkömmlich sei. Natürlich würden die Dinge anders liegen, hätte man ihr in der Vergangenheit das Gefühl gegeben, daß man sie als Mitglied der

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