Die irische Signora
Tellerwäscherin aussetzen zu müssen. »Suzi, bitte sagen Sie mir, warum ich nirgends Arbeit finden kann, eine ganz anspruchslose Arbeit wie Putzen, Einsortieren oder so etwas? Was stimmt nicht mit mir? Bin ich einfach schon zu alt?«
Suzi kaute auf der Unterlippe. »Ich glaube, Sie sehen zu vornehm aus für die Art von Arbeit, die Sie suchen. Wie Sie ja auch für eine Untermieterin bei meinen Eltern ein bißchen zu elegant wirken. Das irritiert die Leute, sie finden es etwas seltsam. Und seltsamen Menschen geht man lieber aus dem Weg.«
»Was würden Sie mir dann raten?«
»Vielleicht sollten Sie sich nach einer besseren Arbeit umsehen, als Empfangsdame vielleicht, oder … Meine Mam sagt, Sie haben eine bestickte Tagesdecke, die eine wahre Pracht ist. Vielleicht könnten Sie damit in Geschäfte gehen und zeigen, was Sie können. In richtig elegante Geschäfte, wissen Sie?«
»Dazu fehlt mir der Mut.«
»Wenn Sie in Ihrem Alter in Italien mit einem Mann zusammengelebt haben, ohne mit ihm verheiratet zu sein, dann haben Sie den nötigen Mut«, lächelte Suzi.
Und sie stellten eine Liste von Designerläden und Modegeschäften zusammen, die vielleicht an hochwertigen Stickereiarbeiten interessiert sein mochten. Als die Signora sah, wie Suzi am Bleistift kaute und überlegte, welche Geschäfte noch in Frage kamen, trat der Signora ein Bild vor Augen: Eines Tages würde sie mit dieser hübschen jungen Frau nach Annunziata fahren und behaupten, daß sie ihre Nichte sei – schließlich hatten sie das gleiche rote Haar. Damit würde sie den Menschen dort zeigen, daß sie in Irland eine Heimat, eine Familie hatte, und zugleich den Iren beweisen, daß sie in Annunziata eine geachtete Frau gewesen war. Doch all das war nur ein schöner Tagtraum, in dem sie schwelgte, während Suzi laut über ihre Frisur nachdachte.
»Ich habe da eine Freundin, die in einem wirklich todschicken Salon Haare schneidet: An den Ausbildungsabenden brauchen sie dort Versuchskaninchen. Warum schauen Sie nicht einmal in dem Laden vorbei? Für zwei Pfund bekommen Sie eine wirklich tolle Frisur, die normalerweise das Zwanzig- oder Dreißigfache kostet.«
Gab es wirklich Leute, die sechzig Pfund für einen Haarschnitt ausgaben? Die Welt war ganz und gar verrückt geworden. Mario hatte ihr langes Haar immer geliebt. Aber Mario war tot. Und er hatte ihr ausrichten lassen, daß sie nach Irland zurückgehen sollte, also würde er geradezu von ihr erwarten, daß sie sich nötigenfalls die Haare schneiden ließ. »Wo ist dieser Salon?« fragte die Signora und notierte sich die Adresse.
»Jimmy, sie hat sich die Haare schneiden lassen«, flüsterte Peggy Sullivan.
Jimmy lauschte gerade gebannt einem Interview, in dem ein Fußballmanager Insider-Kenntnisse preisgab. »Prima«, nickte er nur.
»Ganz im Ernst, sie ist nicht das, wofür sie sich ausgibt. Ich habe sie vorher hereinkommen sehen. Man erkennt sie kaum wieder, sie sieht jetzt zwanzig Jahre jünger aus.«
»Gut, gut.« Jimmy stellte den Fernseher lauter, aber Peggy nahm ihm die Fernbedienung aus der Hand und stellte ihn wieder leiser.
»Nimm doch ein bißchen Rücksicht. Die Frau zahlt uns gutes Geld, da muß sie ja nicht unbedingt einen Gehörschaden kriegen.«
»Gut, aber dann halt die Klappe.«
Peggy saß da und grübelte. Diese Signora, wie sie sich nannte, war mehr als nur ein bißchen seltsam. Keiner konnte so einfältig sein wie sie und dennoch überleben. Mit dem bißchen Geld in der Tasche konnte sich doch niemand einen solchen Haarschnitt leisten, der hatte bestimmt ein Vermögen gekostet! Peggy haßte Geheimnisse. Und jetzt stand sie vor einem ziemlich großen.
»Sie müssen entschuldigen, wenn ich meine Tagesdecke heute mitnehme«, sagte die Signora am nächsten Morgen beim Frühstück zu den Sullivans. »Ich möchte nicht, daß Sie etwa denken, ich würde nun die ganze Einrichtung raustragen. Aber wissen Sie, ich habe gemerkt, daß die Leute ein bißchen verunsichert auf mich reagieren. Ich muß ihnen beweisen, daß ich bestimmte Dinge durchaus kann. Und ich habe meine Haare in einem Salon schneiden lassen, wo sie an sogenannten Modellen üben. Finden Sie, daß ich jetzt normaler aussehe?«
»Es ist sehr hübsch geworden, Signora, wirklich«, erwiderte Jimmy Sullivan.
»Jedenfalls sieht es sündteuer aus«, lobte Peggy.
»Sind die Haare gefärbt?« erkundigte sich Jerry interessiert.
»Nein, es ist Henna drin. Sie haben dort gesagt, ich hätte eine so
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