Die irre Heldentour des Billy Lynn
unbeantwortet. Dime lehnt sich lachend zurück und winkt nach einem Kellner. Dann dreht er sich noch einmal zu Billy, und da ist er wieder, Der Blick, mit dem er ihn endlos so unverblümt anguckt, dass Billy als Erstes denkt: Warum ich? Am Anfang hatte er Angst gehabt, dass er als Startschuss für irgendeine eklige schwule Nummer gemeint war, schwul war die einzige Erklärung für intensive Blicke von einem Mann, die er kannte, aber in letzter Zeit sind ihm Zweifel gekommen, und dafür hatte sein Menschenbild eine ziemliche Erweiterung gebraucht. Dime ist auf etwas anderes aus, irgendeine Bestätigung oder bis dato noch nicht definierbare Erkenntnis, aber Billy ist auch klar, dass es trotzdem irgendwie schwul klänge, wenn er Dritten davon erzählen würde, allein wenn er das Ausgangsereignis bildlich beschreiben würde. Man musste selbst in dem schieren menschlichen Elend jenes Tages dringesteckt haben, um es zu begreifen, die Trostlosigkeit des Anblicks zum Beispiel, nur einsvon vielen, Lake auf dem OP-Tisch, wie er die Ärzte abzuwehren versucht, laut heulend und um sich schlagend und blutspritzend, als ob sie ihn nicht retten, sondern bei lebendigem Leib häuten wollten. Billy hält diese Szene inzwischen für die Bruchstelle, den Knick in seiner Lebenskurve. Seit jenem Tag gab es ein Davor und ein Danach, und ihm waren damals auch die paar Sinne, die er überhaupt noch beisammenhatte, abhandengekommen, er war mitten auf der Lazarettrampe schluchzend zusammengebrochen. Ihm wäre vom Schock und vor Schmerz der Kopf zerplatzt, hätte Dime ihn nicht in die Speisekammer geschubst, gegen die Wand geknallt und da festgenagelt, als wäre er drauf und dran ihn zusammenzuschlagen. Aber Dime hatte selbst geweint, sie hatten beide gejapst und sich fast am eigenen Rotz verschluckt, beide strotzend von Matsch und Blut und Schweiß, als ob sie eben mit Hängen und Würgen irgendeiner Urgrube des Urschleims entstiegen. Ich wusste, du machst das , hatte Dime wieder und wieder gezischt, sein Mund an Billys Ohr wie ein Lötkolben, ich wusste, du machst das, ich hab’s gewusst, gewusst, scheißgenau gewusst, ich bin so gottverdammt scheißstolz auf dich , dann hatte er Billys Gesicht mit beiden Händen gepackt und ihn voll auf den Mund geküsst, ein Kuss wie ein Tritt, ein Schlag mit dem Gummihammer.
Billy tat tagelang der Mund weh. Er wartete auf irgendein klärendes Wort von Dime, und solange das nicht kam, fuhr er sich mit den Fingern über die Lippen und befühlte die Schwellung. Das kriegt man doch nie so verfilmt, dass andere Leute es begreifen können, zumindest hat Billy so einen Film noch nie gesehen. Wenn das ginge, würde er ja sofort sagen: Okay, nimm’s mit rein, dann würde es ihn einen Fliegenschiss interessieren, ob andere Leute ihn für schwul halten oder nicht, es müsste allerdings wirklich raffiniert und gekonnt gemacht sein, so was kann man den Leuten nicht einfach vor die Füße knallen und erwarten, dass die das schon kapieren, aber diese Swank-Sache jetzt macht ihmeinen Strich durch solche Gedanken. Wie soll denn das gehen, wenn die ihn und Dime gleichzeitig spielt? Na, viel Glück beim Selberküssen. Viel Glück beim Selberretten. Vielleicht sollen sie ja alle schlicht den Verstand verlieren in dem Film.
Scheiß drauf, weiß sowieso kein Mensch was davon. Dime bestellt noch eine Runde Heineken für alle und will vorher unbedingt die leeren Gläser abgeräumt haben. Als der eine Kellner weg ist, kommt ein anderer Kellner und fragt, ob sie Kaffee wünschen. Kaffee? Aber hallo, Kaffee! Koffein ist doch eine der Kerndrogen. Crack erkundigt sich, ob es auch Red Bull gebe, der Kellner sagt, er werde mal nachfragen, und sofort bestellt die ganze Runde Red Bull. Dann gehen alle Nachtisch holen, nur Billy muss dringend aufs Klo. Er traut sich nicht zu fragen, wo die Klos sind, und wandert eine Weile durch die allerheiligsten Außenbezirke des Clubs, was auch nicht schlecht ist, eine Pause tut ihm gut, und vom Anblick der Reliquien aus vierzig Jahren Profi-Football wird das Hirn genauso zuverlässig dumpf wie von irgendwas sonst. Es gibt ein postergroßes Foto vom Hail Mary Catch, Staubachs Stollenschuhe vom Super Bowl VI, Mal Renfros rasenverschmiertes Trikot vom letzten Cowboys-Spiel in der alten Cotton Bowl, alles mit weihevollem Pomp präsentiert wie die Überreste vom Heiligen Römischen Reich. Dann entdeckt Billy eine Herrentoilette und lässt sich auch da Zeit. Alles so sauber hier. Irak ist Dreck, Staub,
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