Die irre Heldentour des Billy Lynn
Trümmer, Verwesung und blubbernde offene Abwasserleitungen, außerdem diese mikroskopisch kleinen Sandkörnchen, die sich in jede Körperöffnung ritzen und einen irre machen. Neulich hat er festgestellt, dass er die sogar in der Lunge hat. Wenn er tief Luft holt, kommt ein Fiepen, ein leises Kreischen wie von Dudelsäcken tief unten in einem Tal, und er wüsste gern, ob das von Dauer ist oder bloß ein vorübergehender Stau im Filtersystem.
Er wäscht sich ausgiebig die Hände und guckt sich im Spiegel zu. Ganz früher in Stovall kannte er mal einen Jungen, er hießDanny Weber und war der ältere Bruder von seinem Freund Clay. Danny war oft in Gedanken woanders und redete kaum, er hatte einen Autounfall, bei dem seine beiden besten Freunde gestorben waren, nur knapp überlebt, deshalb zuckten alle nur die Schultern, wenn er sich wieder komisch benahm. Danny zog sich zum Beispiel mitten in Clays und seinem gemeinsamen Zimmer plötzlich nackt aus und starrte sich stundenlang im Spiegel an, ohne Rücksicht darauf, ob die Tür offen stand oder wie kalt es war oder dass da hordenweise kleinere Jungs durchlatschten. Es war einfach eine von Danny Webers Marotten, eine Verhaltensstörung, aber von unanfechtbarer Logik, denn Danny starrte in den Spiegel, um sicherzustellen, dass es ihn gab.
Beim Blick in den Spiegel muss Billy neuerdings oft an ihn denken. Wieder draußen im Gang kommt ihm Mango mit einem der Kellner entgegen, einem stämmigen jungen Latino mit Goldreif im Ohr und Hiphopplatte auf dem Kopf. Beide feixen. Irgendwas ist los. Mango zieht Billy beiseite, unter ein Foto, auf dem Tom Landry Ronald Reagan die Hand schüttelt, und flüstert: »Lust auf’ne Dröhnung?«
Aber hallo. Der Kellner dirigiert sie durch die Küche und einen vollgestopften Personalflur in einen versifften Lagerraum ohne Heizung, von da aus geht es nach draußen in eine trapezförmige Nische, die aussieht wie eine Delle in der Stadionverschalung. Ein Planungsfehler, ein säuberlich aus dem Blick gemogelter baulicher Irrtum, eigentlich zu klein für alle drei. Der Kellner, er heißt Hector, muss unter einem Doppelträger durchtauchen, um in seine Ecke zu gelangen.
»Was ist das denn hier?«, fragt Billy. Irgendetwas muss er fragen.
Hector lacht. »’n ziemliches Ding.« Er kickt einen Holzkeil unter die Tür. »Is’n Nichts, Mann, so’n Ort, den gib’s gar nich. Ich und’n paar andere nehm’ den für Rauchpausen.«
Sie lachen. Die kalte Luft tut gut. Eine Art kastriertes, vom Stahlgestänge durchsiebtes Tageslicht sickert zu ihnen durch. Eine ganze Weile probiert Billy sich vorzustellen, das ganze Stadion sei eine Erweiterung seiner selbst, als trage er es am Leib, festgezurrt wie der wahnsinnigste Schutzpanzer, den die Menschheit je gesehen hat. Es fühlt sich gut und sicher an, bis seine Brust unter der ganzen stählernen Last zu kreißen anfängt, aber gerade kommt der Joint bei ihm an, und der hilft.
»Nett«, sagt Mango genüsslich.
Hector nickt. »Nimmt die Schärfe raus, vato . Bringt ein’ durch’n Tag.«
»Wohl wahr«, sagt Billy weise. In seinem Kopf gehen manche Lichter an und andere aus. »Echt geil, der Shit.«
»Na logo, muss sein, is’ Truppenunterstützung.« Hector lacht und nimmt seinen Zug. »Habt ihr kein’ Schiss vorm Testpissen?«
Mango erklärt, nein, bräuchten sie auch nicht. Team Bravo habe kombiniert, dass die Army nicht scharf darauf sei, ihre ganze schöne PR durch zufällige Urinproben aufs Spiel zu setzen, also, solange diese Victory Tour dauere, fühlten sie sich sicher. »Außerdem, was wollen die denn machen, wenn die uns erwischen, eh? Arschtritt und zurück in’n Irak?«
Hector schüttelt gravitätisch bedröhnt den Kopf. »Auf kein’ Fall, nich wegen’ner Tüte. So grob is nich mal die Army.«
Billy und Mango zögern. Dass die Bravos zurück in den Irak müssen, scheint heikel für die Kommandoebene zu sein. Falls mal aufkommt, dass sie zurückmüssen, sollen sie es zwar nicht abstreiten, aber die da oben sähen es nicht gern als Gesprächsthema während der Victory Tour .
Mango grinst, sieht kurz zu Billy und sagt zu Hector. »Du, ist längst klar, dass wir da wieder hingehen.«
Hector kneift die Augen zusammen. »Du verarschst mich.«
»Ich verarsch dich nicht. Samstag ist Abmarsch.«
»’n Scheiß müsst ihr da wieder hin.«
»Doch, aber erst unsere Tour zu Ende bringen.«
»So’n Scheiß!’n Scheißdreck müsst ihr da wieder hin, nach all dem, was ihr da scheiße
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