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Die irre Heldentour des Billy Lynn

Die irre Heldentour des Billy Lynn

Titel: Die irre Heldentour des Billy Lynn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ben Fountain
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wissen, wie alt er ist. »Sie sehen so jung aus!«, quiekt sie, schüttelt ungläubig den Kopf über die Antwort und schreitet von dannen. Kleine Jungen mit Schlips und Anzug möchten gern Autogramme. Vor der Victory Tour hatte Billy Riesenpartys immer gehasst, das aufgeregte Geschwätz und das stressige Herumschwirren, aber wenn Leute tatsächlich mit einem reden wollen, ist es gar nicht so schlimm.
    »Im Weißen Haus waren Sie auch«, will ein Mann wissen.
    »Das ist richtig.«
    »Sie haben George und Laura kennengelernt?«, fragt seine Frau hoffnungsvoll.
    »Na ja, den Präsidenten und Cheney.«
    »Das war bestimmt wahnsinnig aufregend!«
    »Das war es«, sagt Billy liebenswürdig.
    »Worüber haben Sie denn so geredet?«
    Billy lacht. »Ich weiß nicht mehr!« Was stimmt, er hat es vergessen. Es hatte da ein bisschen gutmütiges Gefrotzel unter Männern gegeben. Jede Menge Gelächter, jede Menge inszenierte Posen für Fotos. Irgendwann hatte Billy gedacht, dass der Präsident doch eigentlich anders auftreten müsste, eher – verlegen? Beschämt? Es war doch eindeutig alles im Arsch. Aber der oberste Befehlshaber schien vollauf zufrieden mit dem Stand der Dinge.
    »Wissen Sie«, die Frau rückt jetzt nahe, anscheinend hat sie eine vertrauliche Mitteilung zu enthüllen, »für uns sind Georgeund Laura ja irgendwie unsere Leute. Sie ziehen ja auch wieder nach Dallas, wenn die Zeit in Washington um ist.«
    »Aha.«
    »Wir waren erst vor ein paar Wochen im Weißen Haus«, sagt der Mann, »beim Staatsbankett für Prinz Charles und Camilla. Ich muss sagen, diese Royals sind wirklich einfach ganz nette Leute, so überhaupt nicht eingebildet. Mit Prinz Charles kann man sich über alles unterhalten.«
    Billy nickt. Alle schweigen. Gerade noch rechtzeitig fällt ihm ein: »Und worüber haben Sie sich unterhalten?«
    »Die Jagd«, antwortet der Mann. »Er hat’s mit Vögeln, genau wie ich. Moorhühnern und Fasanen vor allem.«
    Mehrere sonnengebräunte Glamourpaare haben inzwischen Major Mac in ein intensives Gespräch verwickelt. Der Major nickt, runzelt die Stirn, schürzt die Lippen – es ist eine gekonnte Pantomime ungeteilter Aufmerksamkeit. Dime und Albert sind von Norms Entourage verschluckt worden, Billy findet das beruhigend, es beweist wieder mal, dass Dime sogar die Power hat, mit oberen Etagen wie hier auf Augenhöhe zu agieren. Lauter Amerikaner , denkt er bei einem Blick durch den ganzen Saal. Wir sind alle Amerikaner hier – das fühlt sich an, wie wenn einem plötzlich bewusst wird, dass man eine Zunge im Mund hat, ein Etwas, wo vorher ein Nichts gewesen war. Aber diese Amerikaner hier sind anders. Das sind Top-Typen. Die sind gut gekleidet, die betreiben raffinierteste Körperpflege, die kennen sich aus im Dschungel von Investitionen und stinken geradezu nach den Annehmlichkeiten des guten Lebens – nach Gourmetessen und edlen Weinen, die haben Talent für Spiel und Sport und kennen europäische Hauptstädte rein jobmäßig. Sie sind vielleicht nicht ganz so makellos schön wie Models oder Filmstars, aber sie haben allemal so viel Vitalität und Stil wie, sagen wir mal, Leute in Viagra-Werbespots. Ein Exklusivtermin mit Team Bravo ist für die bloß einsder zahllosen Vergnügen, die ihnen offenstehen, und dieser Gedanke hat etwas Galliges. Nicht, dass er neidisch wäre auf diese Leute, er ist vielmehr zutiefst beängstigt. Ihm graut vor der Rückkehr in den Irak kaum weniger als vor bitterer Armut, und hier fühlt er sich gerade arm , wie ein plötzlich unter lauter Millionäre geratenes abgerissenes obdachloses Kind. Todesangst ist das Ghetto der menschlichen Seele und Angstfreiheit so etwas wie das psychische Äquivalent einer Hundert-Millionen-Dollar-Erbschaft. Das Einzige, worum er diese Leute beneidet, ist der Luxus, Terror einfach als Gesprächsthema wie jedes andere benutzen zu können, und in diesem Moment tut er sich selbst so leid, dass er am liebsten heulend zusammenbrechen möchte.
    Ich bin doch ein guter Soldat, ermahnt er sich, bin ich etwa kein guter Soldat? Und was heißt das, wenn ein guter Soldat sich so mies fühlt?
    Man muss keinen Schiss haben, hatte Shroom gesagt. Der kommt von ganz alleine. Also, sobald man merkt, man kriegt Schiss, muss man keinen Schiss mehr haben. Billy hat lange über den Satz nachgedacht, über seinen irgendwie zenmäßigen Lockruf, aber vor allem darüber, was genau es bedeutet, vor Schiss verrückt zu werden. Noch mal Shroom: Angst ist die Mutter aller

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