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Die irre Heldentour des Billy Lynn

Die irre Heldentour des Billy Lynn

Titel: Die irre Heldentour des Billy Lynn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ben Fountain
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Gefühle. Lange vor Liebe, Hass, Arg, Gram, Zorn und sonst was war Angst, und die Angst gebar alle anderen, und Angst hat, wie jeder Frontsoldat weiß, so viele Inkarnationen und Unterarten wie Schnee im Wörterbuch der Eskimos. Selbst wenn man sich noch so kurz im Reich tödlicher Gewalt aufhält, in irgendeiner belastenden, entsetzlichen Form kriegt man sie immer ab. Billy hat Männer unter dem Druck fürchterlich schreien sehen, andere hören gar nicht mehr auf zu fluchen, wieder andere büßen ihr Sprachvermögen gleich ganz ein. Schließmuskel- und Blasenversagen – Klassiker. Gackern, Schluchzen, Zittern, Gefühlstaubheit – Klassiker. Einmal hat er mit angesehen, wie sich ein Offizierbei einem Raketenangriff unter seinen Humvee gerollt hat und partout nicht wieder hervorkommen wollte, als alles vorbei war. Oder Captain Tripp, eigentlich einer von den ziemlich Guten im Rudel, aber dem flattern bei heftigem Beschuss die Augenbrauen wie lose Planen bei Starkwind. Keiner seiner Soldaten denkt deshalb schlecht von ihm, auch wenn sie es vielleicht peinlich finden, denn es ist ein Reflex, reine Motorik, der Körper rebelliert. Manche Reaktionen auf Gefechtsstress sind einfach im genetischen Code eingeschrieben, so wie Haarwirbel oder Plattfüße, nur bei ein paar wenigen Glücklichen scheint Angst überhaupt nicht anzukommen. Bei Sergeant Dime zum Beispiel, ein Wahnsinnssoldat, der war in aller Ruhe herumspaziert und hatte Smarties gemampft, während es ein paar Meter weiter Mörsergranaten regnete. Man kann auch an einem Tag völlig angstfrei sein und am nächsten komplett auskreisen, so unberechenbar ist das, so gespenstisch, so sinnfrei, so dumm. Geht einem in den Kopf, das Ganze. Das Zufällige. Billy hat die Nase so voll vom Leben mit dem tagtäglichen Niederschlag des Zufalls, nicht von der schlichten tierischen Angst vor Schmerz und Tod, sondern von der nur Menschen eigenen Angst vor der Angst, die ist wie eine bei Skip-Repeat klemmende CD, eine immer enger werdende, selbstreferentielle Schleife, womöglich schon eine Form von Irresein. Deshalb sind alle unsere anderen Gefühle bloß evolutionäre Bewältigungsmechanismen zum Zweck möglichst gut erhaltener Gesundheit? Also spürt man das Menschliche bald sogar noch in Hassgefühlen. Manchmal fühlt sich der Körper an wie tot, weil man all dessen so müde ist, dann wieder hält man es für eine Migräne und versucht, mit ihr zu rechten, man fokussiert sein ganzes Denken auf den Schmerz, analysiert ihn, bricht ihn runter auf Ionen und Atome, vertieft sich so weit in die Theorie des Schmerzes, bis er sich in einen logischen Flatus auflöst, aber hinterher tut einem trotzdem noch der Kopf weh.
    Solche Gedanken hat Billy, während er mit den Leuten über den Krieg plaudert. Er gibt sich Mühe, nichts zu dramatisieren, aber die Leute lenken immer das Gespräch auf Dramatik und Leidenschaft. Sie gehen einfach davon aus, dass man als Bravo hier ist, um über Krieg zu reden, sie würden ja auch, also wenn Barry Bonds hier wäre, mit dem würden sie doch auch über Baseball reden. Glauben Sie nicht ... Finden Sie nicht auch ... Sie müssen doch zugeben ... Hier in der Heimat ist der Krieg ein Problem, das sich mit korrektem Denken und richtig eingesetzten Ressourcen lösen lässt, Drama und Leidenschaft kommen nur ins Spiel, weil diese Terroristen vorhaben, die Welt an sich zu reißen. Unsa Lebenstil. Unsarre Werte. Unsarre christlichen Werte. Billy hat das Gefühl, dass ihm der Kopf ausläuft.
    »Entschuldigung«, unterbricht ein Cowboys-Manager, »unsere Soldaten sitzen hier, glaub ich, etwas auf dem Trockenen. Wollen wir mal nachschenken?«
    Billy klappert mit dem Eis in seinem Glas. »Danke, Sir. Noch eine Cola wäre nett.«
    »Kommen Sie mit. Entschuldigt uns, Freunde.« Der Manager, ganz der zupackende Typ, schiebt Billy am Ellbogen zur Bar. Anscheinend gehört es zur Firmenkultur, dass Cowboys-Manager alle aussehen wie Verkaufsleiter in Ford-Autohäusern, auch der hier – Bill Jones, wie er sich vorstellt – passt ins Raster. Biedere Erscheinung, beginnende Glatze, volles Gesicht, ein Bauch wie im fünften Monat, aber er strahlt etwas aus, das Billy sofort spürt, eine bestens funktionierende Aggressionskontrolle. In jeder Bewegung von ihm schleift eine gummiartige Ungeduld mit.
    »Gefällt’s Ihnen hier?«
    »Ja, Sir.«
    Mr Jones lacht auf. »Sah’n da eben aus, als könnten Sie’n Tapetenwechsel brauchen.«
    Billy lächelt, achselzuckend. »Das sind

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