Die irren Fahrten des Gabriel Delacruz: Roman (German Edition)
Bild ein: im Vordergrund das Gesicht des Kunden, das mit zufriedenem Ausdruck in der Luft zu schweben scheint, als säße unter dem weißen Umhang kein Körper. Die unruhige Gestalt Martís, mit einem kleinen zweiten Spiegel in der Hand, der es dem Frisierten erlaubt, seinen eigenen Nacken zu betrachten und zu nicken, ja, danke, es ist genau so, wie ich es wollte. Und schließlich Conrads heilige Halbglatze, die hinter beiden entlanghuscht, während er die geopferten Haare zusammenfegt.
Martí: Jawoll. Feg schon, feg. Vielleicht wächst ja beim Wühlen in den Haaren anderer Leute auch an dir selbst mal eins davon fest, Gott sei uns gnädig!
Conrad: …
Kunde: So jung und der Schädel schon ganz nackig. In dieser Hinsicht ähnelst du ja deinem Vater kein bisschen, Kleiner.
Conrad: …
Martí: Nicht in dieser Hinsicht und auch in keiner anderen.
Conrad: …
Auf diese Weise baute sich der Hass zwischen Vater und Sohn auf, in dem so leichten wie grollbeladenen Schweigen, das hier hinter Conrads drei Pünktchen steht. Die Szene wiederholte sich häufig, mit nur geringfügigen Abwandlungen, und meist gaben die Kunden dem Vater recht, vielleicht, weil die kalte Rasierklinge an ihrem Hals sie dazu bewog. Doch manchmal zeigte auch einer Mitgefühl mit dem Jungen, warf ihm im Spiegel einen aufmunternden Blick zu oder hob barmherzig die Brauen. Conrad reagierte dann nur mit einem flüchtigen Lächeln und indem er die Schultern einzog. Und eines Tages schlug ein Herr, der regelmäßig kam, um sich den Schnurrbart blondieren zu lassen, fröhlich vor, dass doch eine Perücke die Lösung sein könnte.
»Nie im Leben! Kein Wort mehr davon!«, rief Martí und schüttelte so heftig den Kopf, dass seine Frisur, kompakt und glänzend wie aus Bakelit, beinahe auseinanderzubrechen schien. »Perücken sind Teufelswerk, falsch und abstoßend! Totes Haar ist das! Man soll niemandem über den Weg trauen, der eine Perücke trägt!«
Mit der Zeit hatte sich die hasenfüßige Resignation meines Großvaters Conrad in Stolz verwandelt. Martís Gemeinheiten pfiffen von Mal zu Mal höher über seinen Schädel hinweg, und mit dem Abscheu festigte sich seine Persönlichkeit. Nachts, wenn der Vater schlief, saßen er und seine Mutter verschwörerisch beisammen. In ihrem Geflüster, oft von erstickten Lachanfällen unterbrochen, entwarfen sie den Tyrannen als groteske Gestalt, als eine Karikatur von der Art, wie sie damals der Zeichner Nogués anfertigte. Ich glaube, das war der einzige Ausweg, der ihnen an der Seite eines solchen Irren blieb. Zumal Martí neuerdings wegen jeder Kleinigkeit außer sich geriet und seine Wut immer an seinem kahlköpfigen Sohn ausließ. An allem sollte er schuld sein, und mehr als einmal entfuhr Martí inmitten seines Gebrülls der Ausruf, dass Conrad ja anscheinend gar nicht sein Sohn sei. Seine Frau fragte aufgebracht zurück, wessen Sohn denn dann, bitte schön, und er, rot und zitternd vor Zorn, verlangte, sie solle jeden kleinen Zweig des Familienstammbaums absuchen, bis sie irgendwo einen mit Glatze fände, einen Einzigen, das würde ihm schon reichen.
Meine Theorie ist, dass er recht hatte und mein Großvater Conrad tatsächlich nicht sein Sohn war. Beweisen lässt sich das nicht. Es ist nur ein Verdacht, um nicht zu sagen ein Wunsch angesichts einer Familiengeschichte voller Fehlgriffe und enttäuschter Hoffnungen. Auf der mütterlichen Seite (Einzelkinder von Einzelkindern von Einzelkindern, allesamt) herrschen Freigeister mit leicht extravaganten Neigungen vor. Da kann man einen kleinen Ehebruch in den Zwanzigerjahren – genauer gesagt müsste es, meinen Berechnungen zufolge, im Januar 1929 gewesen sein, also als Barcelona sich gerade auf die Weltausstellung vorbereitete – aufseiten meiner Urgroßmutter Dolors beinahe für eine Pflicht halten.
Die Christofs stimmen mir zu, auf die zurückhaltende Weise, die ihnen jetzt angemessen ist. Aber sie tun es mechanisch, ohne echtes Interesse, bloß damit die Geschichte weitergeht. Sie wollen, dass ich nun wieder zum Flughafen springe, aber den Gefallen tue ich ihnen nicht, denn es gilt noch von einschneidenden Ereignissen zu berichten. Zum Beispiel, wie mein Großvater Conrad siebzehn Jahre alt wurde und seine Mutter ihm, ohne dass sein Vater davon erfuhr, eine Perücke schenkte.
Am Abend, als Martí schlafen ging, nahm Dolors Conrad mit ins Badezimmer, das sich draußen auf dem Treppenabsatz befand. Dort bat sie ihn, stillzuhalten und die Augen zu
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