Die irren Fahrten des Gabriel Delacruz: Roman (German Edition)
als Todesursache Ethylvergiftung und Herzstillstand fest, doch was von beidem Martí wirklich umgebracht hatte, der Infarkt oder die übermäßige Inhalation des gefälschten Rasierwassers, hat man nie erfahren. Wie auch immer, schade, dass es so einfach und prosaisch vor sich gegangen war. Gepasst hätte doch eher ein Ende im Zorn, ein tödlicher Wutanfall, weil ihm klar geworden wäre, was seine Frau und sein Sohn vor ihm verborgen hatten. Ich stelle mir eine übertrieben dramatische Szene vor, wie von einer Laienspielgruppe dargeboten. Mein Urgroßvater kehrt an einem Samstagabend – das Datum können wir ja belassen – vom Kaffeetrinken zurück und kommt am La Paloma im Carrer del Tigre vorbei. Genau dieses Lokal ist Conrad mit seinen Freunden gerade im Begriff zu betreten. Die prahlerische Perücke auf seinem Kopf glänzt, ganz besoffen von all der Pomade. Martí betrachtet den Haarschopf aus der Ferne mit einer gewissen professionellen Bewunderung, doch als er näher kommt, entdeckt er den Betrug. Sein Blick, nun angewidert, senkt sich von der Tolle hinab in das Gesicht des Burschen. Er bemerkt, dass es sich um seinen Sohn Conrad handelt. Ihm schwellen die Adern am Hals, die Augen treten ihm aus den Höhlen. Ihm zittern die Beine, ihm zittert der ganze Körper, als er von hinten auf den Sohn zutritt, sich mit den Ellenbogen den Weg zu ihm freistößt und die Hand ausstreckt, um ihm die Perücke herunterzureißen. Nun sehe ich Conrads erschrockenes Gesicht, als er sich umdreht, sehe, wie Martí ihn anspringt und sich das Haarteil krallt, sehe Conrads Hände sich um den Hals des Vaters schließen. Und als der Alte zu Boden geht, von seinem Sohn gewürgt, sein Mund verzerrt von der Herzattacke, die ihn heimsucht, da höre ich ihn seine berühmten letzten Worte ächzen: »Man soll niemandem über den Weg trauen, der eine Perücke trägt!«
»Die Fakten! Die Fakten! Zum Flughafen!«
Meine Brüder fangen wieder an zu zetern, weil ich mich in Verästelungen ergehe und hanebüchene Todesarten erfinde. Vor Ungeduld schreien sie herum, als hätten sie sich zuvor, als sie an der Reihe waren, nicht ebenso behaglich ausgebreitet. Keine Sorge, Christofs. Jetzt drücke ich auf die Tube.
Meine Urgroßmutter beweinte das Verscheiden ihres Gatten nicht sehr. Vier ehrliche Tränen, als die Beileidsbekundungen kamen, und Schluss. Kaum verbreitete sich die Todesnachricht in der Nachbarschaft, da füllte sich die Wohnung auch schon mit Friseuren von der Innung und mit Kunden aus dem Salon, die der Witwe ihr Mitgefühl ausdrücken wollten. Zudem hatte Conrad ein Schild »Geschlossen wegen Todesfalls« an die Ladentür gehängt, wohl eher erleichtert als erschüttert.
Eine denkwürdige Begebenheit während der Totenwache ist uns dank Dolors überliefert. Die Innung ließ eine Anzeige drucken und im Viertel sowie in den Friseursalons der Stadt verteilen. Unter den Namen meines Urgroßvaters hatten sie, als wäre es ein Familienwappen, eine Schere und einen Kamm gezeichnet, die sich kreuzten. Der alte Eigentümer des Geschäfts, der Martí als seinen Schüler betrachtete, bat darum, den Leichnam sehen zu dürfen. Man öffnete ihm den Sarg, und als er den Toten erblickte, kam er nicht umhin, einen Kamm aus Schildpatt aus der Tasche zu ziehen und ihm den verehrungswürdigen Schopf zu richten, der schon auszutrocknen begann.
Auch nach der Beerdigung gab es Gerede. Conrad hatte eigentlich beschlossen, ohne Perücke zu erscheinen, so, wie ihn sein Vater gekannt hatte, doch Dolors, die sehr stur sein konnte, bestand darauf, dass er sie aufsetzte. Schließlich sei Martí nun nicht mehr am Leben, und was Conrad zu respektieren habe, sei zuvörderst sein eigener Wille. Martís Friseurkollegen empfanden das als Provokation, und mehr als einer von ihnen sah den Sohn beim Kondolieren vor der Kirche del Carme mit unverhohlener Wut und Verachtung an.
Dies geschah im Jahr 1949, in dem mein Großvater zwanzig geworden war, und es fehlten nur noch knapp zwei Jahre bis zur Geburt meiner Mutter. Das plötzliche Ende Martís machte das Leben für Conrad sehr viel leichter, er brauchte nun nie wieder ohne Perücke herumzulaufen. Drei Monate nach dem feindseligen Begräbnis, noch mit der Trauerbinde um den linken Arm, verkaufte er die Haarwaschbecken, die Spiegel und die Frisierstühle seines Vaters zum Schleuderpreis an einen Friseur, der einen Laden im Carrer Tallers aufmachen wollte, und verwandelte den alten Salon in ein Perückengeschäft. Er
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