Die irren Fahrten des Gabriel Delacruz: Roman (German Edition)
Geplauders. Beim Reden sah er den Kunden spiegelverkehrt in die Augen, er verstand es, sie mit Witzchen zu erheitern und ihnen in allem recht zu geben, ohne als Speichellecker zu erscheinen. Manchmal konnte ihn die besondere Form eines Schädels, einer Ohrmuschel, eines ausrasierten Nackens oder auch das Vertrauen, mit dem ein Kunde den Kopf nach hinten legte und ihm seine Schlagader darbot, zurückversetzen in die Tage der soldatischen Brüderlicherkeit, so männlich und zugleich so kindlich, und dann vermisste er zehn Minuten lang den Krieg.
Drei Jahre nachdem er in dem Salon angefangen hatte, ging sein Chef tatsächlich in Rente, und Martí Manley kaufte ihm den Laden für wenig Geld ab. Er musste sich jedoch schriftlich verpflichten, ein gerahmtes Foto von dem Alten an die Wand zu hängen, damit die Stammkunden ihn nie vergäßen, und ihm bis zu seinem Tod gratis alle Dienste des Salons zur Verfügung zu halten.
Anstatt einen Lehrling einzustellen, zwang Martí seinen Sohn Conrad, mit der Schule aufzuhören, und nahm ihn eines Montags mit ins Geschäft. Um es ihm weniger traumatisch zu gestalten, hatte meine Urgroßmutter Dolors, die vom schlechten Charakter ihres Mannes insgeheim angewidert war, dem Jungen einen weißen Kittel gekauft und auf die Tasche seinen Namen gestickt. Das war 1944, mein Großvater Conrad zählte fünfzehn Jahre, und der Milchbart spross ihm bloß in Form verstreuter Inseln, die sich schlecht rasieren ließen. Kein gutes Omen.
Allmählich hatte sich der Friseursalon im ganzen Viertel einen Namen gemacht, und es verging kein Tag, ohne dass ihn jemand zum ersten Mal betrat. Oft erschien er dann nach ein paar Wochen wieder. Da der Laden so nah an der Paral. lel lag, schauten am frühen Abend auch ein paar Revuekünstler auf dem Weg ins Theater vorbei und ließen sich rasch die Spitzen schneiden, das Kinn glatt rasieren oder die Koteletten in Form bringen. Ihre Fotos mit Widmung gesellten sich an der Wand zu dem des alten Chefs. Wenn sie wieder auf die Straße traten, mit einer dicken Schicht Pomade behelmt und eine Haarwasserwolke hinter sich herziehend, blieb Martí Manley mit stolzgeschwellter Brust zurück und warf einen raschen, verschämten Blick auf sein eigenes Spiegelbild. Er war glücklich.
Als Conrad Manley anderthalb Jahre als Lehrling im Geschäft gearbeitet hatte, begannen ihm – man weiß nicht, welches genetische Komplott dahintersteckte – die Haare auszufallen. Die ersten Symptome waren, wie bei jeder Epidemie, unauffällig. Vier pechschwarze Exemplare morgens auf dem Kopfkissen, ein kleines Knäuel im Kamm, ein Büschel im Abfluss der Badewanne. Doch binnen weniger Wochen grassierte die Seuche unaufhaltsam und richtete auf seiner Schädeldecke schwerste Verwüstungen an. Conrad gab sich alle Mühe, die kahle Stelle zu verbergen, indem er sich das Haar nach hinten kämmte, denn er wusste, sein Vater würde ihn als Verräter betrachten. Nach Martís Überzeugung verdankte das Geschäft seinen Erfolg wesentlich dem Bild, das der Barbier selbst abgab – als ästhetisches Modell, dem es zu folgen galt –, und jeden Tag vor dem Öffnen richtete er seine eigene Frisur mit peinlicher Sorgfalt her. Mit ihm war die Natur großzügig gewesen, und so erhob sich der Schopf über seiner Stirn mit so respekteinflößender Herrschaftlichkeit wie die Markise des Hotels Colon.
Allen Anstrengungen Conrads zum Trotz breitete sich die Schande auf seinem Haupt immer weiter aus. Eine fäkalgelbe Tinktur mit Kloakengeruch, die ihm ein Apotheker im Carrer Unió verkauft hatte, verhalf ihm überraschenderweise zu drei Wochen der Hoffnung, nebst einer Sammlung stinkiger Albträume. Er musste sich das Mittelchen vor dem Zubettgehen auf die Kopfhaut reiben und über Nacht ein Haarnetz tragen. Doch nach den drei Wochen Atempause wirkten seine Haare verschreckter denn je und begingen massenhaft Selbstmord.
Nun war es ihm nicht mehr möglich, den Verlust zu kaschieren, und Martí begann seinen Sohn zu verachten. Er beschimpfte ihn wegen seiner lächerlichen Frisur und ging bald dazu über, sich in Anwesenheit der Kundschaft gnadenlos über die eines Jugendlichen unwürdige Kahlköpfigkeit lustig zu machen.
Das lief etwa folgendermaßen ab: Martí ist dabei, sein Werk an einem Kopf zu vollenden. Die Schere sucht die paar letzten Haare, die noch aus der Reihe tanzen, und erledigt sie mit einem trockenen Schnappen. Der Spiegel, der sich fast über die ganze Wand zieht, fängt ein alltägliches
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